Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer hat Recht: An der Grenze zum Gazastreifen richten die Israelis friedliche Demonstranten hin
Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hat Mut bewiesen und die Dinge beim Namen genannt: Was an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen an jedem Freitag geschieht, sind eindeutig „Hinrichtungen“ – man kann sie auch Mord nennen. Dort schießen bewaffnete Israelis (Soldaten oder Angehörige der Polizei) auf friedliche Demonstranten, die gegen die Blockade protestieren, die sie seit elf Jahren von der Außenwelt völlig abschließt. Sie demonstrieren auch für ihr Recht auf Heimkehr in ihre Städte und Dörfer. Denn drei Viertel der Bewohner des Gazastreifens bzw. ihre Nachkommen sind Flüchtlinge, die die Israelis 1948 und 1967 aus ihrer Heimat vertrieben haben. Der Gazastreifen ist heute nicht nur das am dichtesten besiedelte Gebiet der Welt, er ist als Folge der israelischen Abriegelung ein Elendsquartier, sogar kritische Israelis sprechen vom „größten Freiluftgefängnis der Welt“. Die Lebensverhältnisse dort sind so unerträglich geworden, dass die UN voraussagen, dass der Gazastreifen 2020 unbewohnbar sein wird.
Was an der Grenze zum Gazastreifen an jedem Freitag stattfindet, ist nichts anderes als ein Massaker: Rund 200 Palästinenser sind bei den Demonstrationen bisher erschossen und über 10 000 verletzt worden, auf der israelischen Seite ist nicht ein einziger Soldat oder Polizist zu Schaden gekommen. In diesem Zusammenhang von „Krieg“ zu sprechen, den die Palästinenser begonnen hätten, (wie der Vorsitzende der Grünen in Bremen, Hermann Kuhn behauptet) ist nicht nur lächerlich, es ist zynisch und unmenschlich und grenzt an Rassismus, denn hier wird ja indirekt behauptet, dass palästinensische Leben viel weniger wert sind als israelische. Nach dieser perversen Logik sind die Opfer die Täter.
Wenn die führenden Vertreter der bremischen Parteien von CDU, Grünen und FDP Mäurer „Antisemitismus“ vorwerfen, beweisen sie nur, dass sie unter völligem Realitätsverlust leiden und nicht den Mut haben, die Brutalität und Menschenverachtung der israelischen Besatzungspolitik wahrzunehmen und dagegen zu protestieren. (Der Gazastreifen ist kein selbständiger Staat, sondern nach wie vor israelisches Besatzungsgebiet. Die Abschottung des Streifens ist eine völkerrechtswidrige Kollektivstrafe.) Wenn diese Politiker glauben, mit ihren Stellungnahmen einen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus zu leisten, so irren sie. Das Verschweigen der Brutalität der israelischen Besatzung facht den Antisemitismus erst richtig an, denn die meisten Menschen in Deutschland wissen sehr wohl, welche monströsen Menschenrechtsverbrechen die Israelis an den Palästinensern begehen. Sie folgern daraus: „Israelis bzw. Juden dürfen offenbar alles!“ Wie es in Israel ganz offiziell heißt: „Wir haben den Holocaust durchgemacht, uns ist alles erlaubt.“ Die israelische Justizministerin Ajeled Shaked darf sogar öffentlich sagen, dass Israel mit Völkerrecht und Menschenrechten nichts zu tun hat. Israel selbst erzeugt auf diese Weise Antisemitismus, nicht ein deutscher Politiker, der das israelische Vorgehen kritisiert.
Es ist sehr zu bedauern, dass Innensenator Mäurer dem Druck des Antisemitismusvorwurfs nachgegeben und seine Äußerung zurückgenommen hat. Verletzungen von Menschenrechten und Völkerrecht anzuklagen und sich für Humanität einzusetzen, hat mit Antisemitismus gar nichts zu tun. Es wird Zeit, dass in Deutschland offen über Israels verbrecherisches Vorgehen gegen die Palästinenser gesprochen werden kann. Erst dann haben wir ein normales Verhältnis zu diesem Staat. Die Menschenrechte sind unteilbar.