Antisemitismus – Philosemitismus und der Palästina-Konflikt. Hitlers langer verhängnisvoller Schatten

Ein Vortrag, den ich in verschiedenen Städten gehalten habe

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Antisemitismus ist eine Form des Rassismus, die in Deutschland besonders verheerende Folgen gehabt hat und zum Holocaust, also der Vernichtung der europäischen Juden geführt hat. Es verwundert deshalb auch nicht, dass das Thema Antisemitismus bzw. der Antisemitismus-Vorwurf hierzulande ein besonders sensibles und brisantes Thema ist. Wenn man aus dem Holocaust die richtigen Schlussfolgerungen für die Bekämpfung dieser Form des Rassismus ziehen würde, wäre das ja nur zu begrüßen. Aber so liegen die Dinge leider nicht.

Der Antisemitismus-Vorwurf hat sich in bestimmten Kreisen zu einer eigenständigen Ideologie entwickelt, ist zu einem politischen Kampfbegriff geworden, mit dem man politische Gegner zu diffamieren und zu denunzieren versucht, was bis zur Vernichtung einer bürgerlichen Existenz gehen kann. Dabei hat der Antisemitismus-Vorwurf im Zusammenhang mit dem Konflikt Israels mit den Palästinensern einen paradoxen Bedeutungswandel durchgemacht. Als Kampfbegriff wird er heute vornehmlich gegen Menschenrechtsaktivisten, Verteidiger des Völkerrechts, also Vertreter von Aufklärung und Humanität eingesetzt und kann dabei paranoide Züge annehmen.

Er wird besonders bei Kritik an der israelischen Staatspolitik verwendet, wobei Israel dann als Inbegriff alles Jüdischen verstanden wird. Man muss eigentlich Leuten wie Benjamin Weinthal und ihren Kampagnen dankbar sein, denn sie machen genau das deutlich, was ich heute Abend hier sagen möchte: Dass das Judentum über den Konflikt Israels mit den Palästinensern tief zerstritten, ja gespalten ist. Wer glaubt, Leute wie Weinthal oder die DIG verträten die Juden, dann irrt er ganz gewaltig. Ich werde in meinem Vortrag viele jüdische Stimmen zitieren, die ganz anders klingen als diese Kampagnen-Attacken.

Welche Formen und Ausmaße der Antisemitismus-Vorwurf in Deutschland annehmen kann, schildert der israelische Historiker und Sozialwissenschaftler Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv. Dem Antisemitismus-Vorwurf werde heute so gut wie alles unterworfen. Jeder und jede, die sich im öffentlichen Raum bewegen, könnten das Opfer werden. Scharfrichterliche Gesinnungspolizisten wachten darüber, dass das reine Antisemitismus-Dogma – so wie es vor allem die Israel-Lobby versteht- auch eingehalten wird. Der wirklich vorhandene und zu bekämpfende Antisemitismus verschwinde dabei völlig hinter der Verwässerung des Begriffes und seiner zunehmenden Entleerung. Der keulenartig vorgebrachte Antisemitismus-Vorwurf sei inzwischen so wirkmächtig, dass viele schon im Voraus – eingeschüchtert – in vorauseilendem Gehorsam einknicken würden, obwohl sie sich gar nichts vorzuwerfen haben. Aber das Sich-Verteidigen und In-Abrede-Stellen nütze nichts, es werde dann eben als Beweis für unbewussten Antisemitismus gedeutet. Soweit Moshe Zuckermann.

Diese Antisemitismus-Jagd, die in Deutschland von antideutschen Gruppen bis in die höchste Politik-Ebene Mode geworden ist, hat regelrechten inquisitorischen Charakter. Es ist nun zu fragen, wie es dazu gekommen ist und vor allem aber: Wann liegt wirklicher Antisemitismus vor und wann handelt es sich um eine denunziatorische Ideologie, die ganz bestimmte politische Zwecke verfolgt? Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, muss man das Problem des Antisemitismus bzw. des Antisemitismus-Vorwurfs historisch und ideologiekritisch untersuchen. Das möchte ich im Folgenden tun. Ich habe meine Ausführungen, um sie übersichtlicher und anschaulicher zu machen, in zwölf Abschnitte aufgeteilt.

1. Nimmt der Antisemitismus in Deutschland zu?

Im Sommer 2014 hat es in der ganzen Bundesrepublik Demonstrationen gegen Israels Krieg gegen den Gazastreifen gegeben, bei dem auf palästinensischer Seite über 2000 Menschen getötet wurden – darunter etwa 300 Kinder, Zehntausende Menschen wurde verletzt, Hunderttausende wurden obdachlos. 18 000 Häuser wurden zerstört und so gut wie die ganze Infrastruktur des Gebietes, das durch die seit acht Jahren bestehende totale Blockade und Israels permanente Überfälle – besonders den Krieg 2008/09, der 1200 Tote forderte – ohnehin schon zur Elendsregion geworden war.

 

Bei diesen Demonstrationen in Deutschland gegen Israels Krieg waren zweifellos – vermutlich von muslimischen Jugendlichen – Schmäh- und Hetzparolen gebrüllt und auf Transparenten gezeigt worden, was die Vertreter der deutschen Politik, der jüdischen Interessenvertretungen und der Main-Stream-Medien veranlasste, lautstark von einer „neuen Welle des Antisemitismus“ zu sprechen. Als dann noch islamische Terroristen in Paris und Kopenhagen Anschläge verübten, von denen auch Juden betroffen waren, stand für die Vertreter und Verteidiger Israels endgültig fest, dass Europa gerade einen Rückfall in allerschlimmsten Antisemitismus erlebt. Israels Botschafter in Berlin, Yakov Hadas Handelsman, verstieg sich zu der Äußerung, in den Straßen Berlins seien Juden verfolgt worden wie 1938. Wenn es so weiter gehe, fürchte er, dass unschuldiges Blut vergossen werde. Die Situation in Hitlers „Drittem Reich“ lässt sich aber wohl kaum mit der Situation im heutigen Deutschland vergleichen.

 

Experten warnen denn auch vor voreiligen Schlüssen. Der renommierte Antisemitismus-Forscher Professor Wolfgang Benz stellte fest: „Ich sehe überhaupt keine neue Qualität. Ich würde auch gern die Wortwahl ‚antisemitische Ausschreitungen‘ hinterfragen. Es haben sich zum Teil seltsame Leute zusammengerottet. Einige haben blödsinnige Parolen gerufen. Das wird von Interessenten mit großem Widerhall als Wiederaufflammen des Antisemitismus dargestellt. Ich beobachte die Szene seit 30 Jahren. Seit 30 Jahren wird damit Politik und Stimmung gemacht.“ Benz sieht die größere Gefahr heute viel mehr in der Feindschaft gegenüber Muslimen. Die Islamophobie arbeite mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der Antisemitismus. Gemeinsam sei diesen Vorurteilen die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der Ausgrenzung: „Das Feindbild der Juden wird heute durch das Feindbild der Muslime ersetzt. Wieder geht es um die Ausgrenzung einer Minderheit. Es ist höchste Zeit, die Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu verhindern.“

 

Das Problem der Juden- bzw. Israelfeindlichkeit muslimischer Migranten in Europa und auch in Deutschland ist seit langen bekannt. Die Frage ist aber: Handelt es sich dabei wirklich um Antisemitismus? Selbst jüdische Autoren urteilen da eher zurückhaltend. So hat der österreichisch-jüdische Historiker und Experte für jüdische Geschichte und Kultur, Matti Bunzl, über den Hass junger Moslems in Frankreich geschrieben, den er vom alten traditionellen Antisemitismus absetzt: „Was den neuen vom alten Antisemitismus unterscheidet, ist das übergeordnete Projekt. Die traditionelle Form des Antisemitismus war darauf ausgerichtet, die Juden aus den Nationalstaaten auszugrenzen. Dies konnte verschiedene Formen annehmen, von der polemischen Behauptung der Inkompatibilität der Juden mit der Nation bis zum Genozid. In all diesen Varianten dieses alten Antisemitismus wurden Juden als Außenseiter in den europäischen Nationalstaaten hingestellt, als Eindringlinge in einer Fantasie von ethnischer Reinheit.“

 

Und weiter schreibt Bunzl: „Sofern der neue Antisemitismus von Rechtsextremen propagiert wird, ist diese Logik immer noch am Werk. Wenn wir uns jedoch dem Phänomen von seiner islamischen Seite her nähern, sehen wir einen gänzlich anderen Plan. Wenn junge ausgegrenzte Muslime französische Juden angreifen, dann nicht aus dem Interesse heraus, ein ethnisch reines Frankreich zu schaffen. Auch behaupten sie nicht, dass Frankreichs Juden nicht zu Europa gehören. Im Gegenteil, sie greifen Juden eben deshalb an, weil sie sie als Teil einer europäischen Hegemonie begreifen, die sie nicht nur in Frankreich marginalisiert, sondern die in ihrer Sicht auch für das Leiden der Palästinenser verantwortlich ist. In der arabischen Welt wird Israel letztlich vor allem als europäische Kolonie begriffen. Die Gewalt von Muslimen gegen Juden in Europa als Ausdruck antikolonialen Kampfes zu bezeichnen, heißt nicht, sie zu verteidigen. Es macht jedoch klar, wie sehr sich alter und neuer Antisemitismus unterscheiden. Während ersterer darauf angelegt war, Juden aus den Nationalstaaten Europas auszugrenzen, greift letzterer Juden eben deshalb an, weil sie Teil Europas sind.“

 

Bunzl warnt aber vor falschem Alarm und bezeichnet den „neuen Antisemitismus“ verglichen mit dem alten als „irrelevant“ und „bedeutungslos“.  Noch weiter geht der Israeli Uri Avnery, der in einer Kolumne schrieb: „All diese Gewalttaten [in Paris und Kopenhagen] wurden von jungen Muslimen begangen, die meistens arabischer Abstammung sind. Sie waren und sind ein Teil des fortwährenden Krieges zwischen Israel und den Arabern. Das hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Sie haben nichts mit dem Pogrom in Kishinew [1903] und nichts mit den Weisen von Zion zu tun.“ Er sieht den Grund für die Gewaltbereitschaft junger Muslime im Hass auf ihre Gastländer, weil sie sich dort verachtet, gedemütigt und diskriminiert fühlten. Mangelndes Selbstbewusstsein und soziale Frustration macht auch Wolfgang Benz als Motive des Unmuts junger Muslime in Europa aus.

 

Es besteht also kein Konsens darüber, was Antisemitismus eigentlich ist. Selbst der frühere israelische Botschafter in Deutschland Avi Primor kann darauf keine eindeutige Antwort geben. Er sagt: „Antisemitismus genau beschreiben, das konnte ich noch nie. Ich konnte nur sagen, wer kein Antisemit ist. Natürlich gibt es Antisemitismus. Es gibt den religiösen Antisemitismus, es gibt rassistischen Antisemitismus, es gibt Neonazis und Nazis. Das gibt es alles. Aber das wächst nicht. Im Gegenteil: Es geht ständig zurück.“ Für das immer wieder gerade auch von jüdischer Seite sowie in Studien und Umfragen gebrauchte Argument, dass der Antisemitismus zunehme, macht Primor eine erhöhte Sensibilität für das Problem verantwortlich. Im Übrigen sagt er immer wieder: „Der Antisemitismus nimmt nicht zu, sondern die Sympathien für Israel nehmen ab.“

 

Es gibt sehr viele Juden, die der Meinung sind, dass der Antisemitismus kaum noch eine Gefahr für sie darstellt. So sagt Matti Bunzl: „Tatsächlich gibt es keine politische Partei oder Bewegung von Bedeutung auf dem Kontinent, die derzeit für ein spezifisch antisemitisches Programm eintritt.“ Der israelische Literaturwissenschaftler Ran Ha Cohen formuliert es noch deutlicher: „Es wird höchste Zeit laut zu sagen: Im gesamten Verlauf der jüdischen Geschichte seit dem Babylonischen Exil im 6. Jahrhundert v.u.Z. gab es nie eine Epoche, die mit weniger Antisemitismus gesegnet war als unsere. Es gab nie eine bessere Zeit, als Jude zu leben als unsere. Gerade einmal vor zwei Generationen war Antisemitismus eine legitime politische und kulturelle Haltung in den meisten führenden Staaten der Welt. Antisemitismus konnte man offen aussprechen, sogar stolz darauf sein. Juden nicht zu mögen war so natürlich wie heute der Abscheu vor Kakerlaken. Heute ist Antisemitismus ein Tabu und gesetzwidrig in jedem entwickelten Land der Erde. Selbst wirklich antisemitische Gruppen leugnen ihre antisemitischen Züge, weil sie wissen, dass das politisch inakzeptabel ist. In einer solchen Welt hat jemand, der zwei Mal am Tag ‚Antisemitismus‘ schreit, eine extrem schwere Beweislast auf dem Buckel.“

 

Diese „Beweislast“ scheint der deutsche Mainstream in Politik und Medien nicht zu scheuen. Mit dem Antisemitismus-Vorwurf, der schnell zur Rufmordkampagne werden kann, ist man da schnell bei der Hand. Dass durch diesen Vorwurf der Begriff des Antisemitismus völlig seines Inhalts entleert wird und das Menschheitsverbrechen Holocaust, aus dem man ja angeblich historische Lehren gezogen haben will, total relativiert wird, wird nicht bemerkt oder bewusst in Kauf genommen. Die Kampagnen zielen neben den Moslems speziell gegen die politische Linke und auf alles, was irgendwie für „links“ gehalten wird. Denn deren Kapitalismus-Kritik – etwa an den global agierenden Finanzmärkten – eignet sich gut dafür, denunzierend mit „Verschwörungstheorien“ vom „international agierenden Judentum“ in Verbindung gebracht zu werden. Selbst Kritik an Amerikas Politik gilt da oft schon als „Antisemitismus“. Dass Intellektuelle und Künstler, die früher einmal im Ruf standen, „verjudet“ zu sein, heute mit Vorliebe mit dem Titel „Antisemit“ versehen werden, passt da ins Bild. Beispiele sind in letzter Zeit etwa Günter Grass und Jakob Augstein. Da hilft es gar nichts, dass „Linke“ auch heute noch mehrheitlich internationalistisch, humanistisch und an den Menschenrechten und am Völkerrecht orientiert sind: Antisemitismus ist zum politischen Kampfbegriff geworden, und das Ziel der Denunziationen ist klar: jede Kritik am Neoliberalismus und natürlich an Israels Politik zum Verstummen zu bringen.

 

2. Was ist Antisemitismus? Der alte Antisemitismus-Begriff

 

An dieser Stelle muss nun definiert werden, was Antisemitismus eigentlich ist. Die einfachste Definition ist: Antisemitismus ist Feindschaft gegen oder Hass auf Juden, unabhängig davon, was sie tun oder denken, einfach weil sie Juden sind. Antisemiten haben also in ihrer Vorstellungswelt ein bestimmtes erstarrtes Abbild oder Stereotyp, das sie auf lebende Personen übertragen. Antisemiten sehen Juden also nicht als Individuen, sondern als Symbol eines Typs, als Repräsentanten einer Gruppe. Das Stereotyp besagt, dass Juden berechnend, raffgierig, skrupellos, zwielichtig, ausbeuterisch und machtbesessen sind. Im 19. Jahrhundert setzte sich eine pseudowissenschaftliche biologische Konzeption einer „jüdischen Rasse“ durch, die besagte, dass Jude-Sein eine immanente Eigenschaft sei, die durch Blut und Rasse bestimmt sei und die per definitionem nicht zu ändern sei. Das 19. Jahrhundert war die Zeit eines großen Umbruchs vom agrarisch orientierten Feudalismus zum Industriekapitalismus mit den neuen Ideen des Sozialismus, Liberalismus und der Demokratie. Diese Veränderungen konnten viele Menschen nicht nachvollziehen, da boten sich die Juden als bequeme Sündenböcke an. Der Antisemitismus hatte so gesehen die Funktion eines Aufstands gegen die Moderne.

 

3. Das Aufkommen des Philosemitismus in Deutschland

 

Ich möchte den Faden des Antisemitismus nach 1945 wieder aufnehmen. Nach den furchtbaren Exzessen des Antisemitismus – Stichwort Auschwitz – und nach dem Zusammenbruch des Hitler-Staates gab es in Deutschland keinen Aufschrei des Entsetzens, als Einzelheiten aus den Vernichtungslagern bekannt wurden, sondern es folgte das große Schweigen, die große Sprachlosigkeit, die alles verhüllte, was geschehen war. Was aber nicht hieß, dass eine wirkliche Sinnesänderung stattgefunden hatte. Das anti-jüdische Stereotyp verschob sich aber in den folgenden Jahren langsam in Richtung Philosemitismus. Die offizielle Politik der Adenauer-Regierung hatte diese Kursänderung vorgegeben, denn der Philosemitismus hatte nun die Funktion, den demokratischen Charakter der zweiten deutschen Republik zu legitimieren, um das Misstrauen der westlichen Staaten zu überwinden. Juden und alles Jüdische wurden nun von der Mehrheit der Deutschen zunehmend positiv bewertet. Was nicht ins Bild passte, wurde verdrängt. Günter Grass schrieb in seiner Poetik-Vorlesung „Schreiben nach Auschwitz: „Der angelernte Antisemitismus ließ sich durch dessen Tabuisierung zum angelernten Philosemitismus ummünzen.“

 

Die Deutschen versuchten also, ihre Vergangenheit mit der Flucht in den Gegenpol des Antisemitismus, den Philosemitismus zu bewältigen. Der Theologe Martin Stöhr hat den Philosemitismus so definiert: „als gefühlsmäßige, überschwängliche Zuneigung zu Juden und zum Staat Israel, die jedes kritische Sehen und jede exakte Information außer Acht lässt“ und sich von jeder Verantwortung freispricht. Von dieser Maxime lassen sich die deutsche Politik, der überwiegende Teil der Medien und sehr viele Deutsche in ihrer Einstellung zu Israel bis heute leiten. Der Philosemitismus ist in der deutschen Politik sozusagen „Staatsräson“.

 

Nun ist ein solcher Philosemitismus aber aus mehreren Gründen problematisch, worauf nicht zuletzt humanistisch denkende Juden hingewiesen haben. Denn Moral ist unteilbar. Wenn sie das nicht mehr ist, degeneriert sie zur Schein- und Doppelmoral. Wenn die Verantwortung, die notwendigerweise aus den deutschen Verbrechen folgt, sich nur auf Juden und Israel bezieht, also nicht auch universalistisch auf alle Menschen – also auch auf die Palästinenser, dann wird sie fragwürdig. „Moral“, schreibt der deutsche Soziologe Walter Hollstein, „verwandelt sich in Scheinmoral, wenn Praktiken der Gewaltanwendung, Vertreibung und Folter den Israelis zugestanden werden, um sich dergestalt von der eigenen schrecklichen Schuld der Vergangenheit Erlösung kaufen zu können.“

 

Der Zusammenhang von Antisemitismus und Philosemitismus

 

Was die Philosemiten nicht sehen oder nicht sehen wollen, ist, wie eng Antisemitismus und Philosemitismus zusammen hängen. Der Philosemitismus lässt sich immer aus dem Antisemitismus erklären und ableiten, weil der Philosemitismus seinen Nährboden, aus dem er stammt, immer im Antisemitismus hat. Oder anders gesagt: Im Philosemitismus steckt immer ein nicht überwundener oder verdrängter Antisemitismus. Zwischen beiden besteht eine dialektische Beziehung. Eine klassische Definition dieses Verhältnisses hat der Literaturwissenschaftler Carsten Peter Thiede geliefert: „Der Philosemitismus erweist sich lediglich als eine andere Art des Antisemitismus, da er einerseits die antisemitischen Positionen erst zu bestätigen hat, ehe er sie negieren kann, andererseits aber auch ein Idealbild vom Juden entwirft, das dieser letztlich nicht erfüllen kann und deshalb einem antisemitischen Rückschlag Vorschub leisten muss. Zudem arbeitet der Philosemitismus genau wie der Antisemitismus mit dem Mittel der Stereotypisierung. Statt der Auflösung ergibt sich lediglich eine spiegelbildliche Verkehrung.“

 

Es ist der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Tugendhat, der immer wieder darauf hingewiesen hat, wie eng Antisemitismus und Philosemitismus zusammenhängen und wie sehr der Philosemitismus das Verhältnis zu Juden verfälscht. Er schreibt: „Wenn man es verbietet, bestimmte Menschen oder eine Nation kritisieren zu dürfen, gewinnt man ein unfreies Verhältnis zu ihnen, man wickelt sie gewissermaßen in Watte. In Wirklichkeit lässt sich Kritik von Antisemitismus klar unterscheiden. Antisemit ist, wer Juden schon als solche, einfach weil sie Juden sind, für schlecht hält. Wer hingegen Juden, nur weil sie Juden sind, für gut, für nicht kritisierbar erklärt, ist, was man als einen Philosemiten bezeichnen kann. Es ist leicht zu sehen, dass der Philosemitismus in der Befürchtung gründet, als Antisemit zu erscheinen und also im Antisemitismus seinen Grund hat. Man kann sich vom Antisemitismus nicht befreien, indem man Juden nicht für kritisierbar hält, sondern nur, indem man sich zu ihnen wie zu normalen Menschen verhält, die wie alle Menschen je nach den Umständen, in dem, was sie tun, kritisiert und gelobt werden können. Man darf Gut und Schlecht nicht substanzialisieren: nicht Personen oder gar Völker sind an und für sich gut oder schlecht, sondern gut oder schlecht sind ihre Handlungen, und ein und dieselbe Person kann einmal gut und ein anderes Mal schlecht handeln, einmal im Recht und einmal im Unrecht sein, oder auch einmal Opfer und ein anderes Mal Täter. Das sind Trivialitäten, aber in Deutschland besteht ein Aufholbedarf, um aus dem Gespinst von Antisemitismus und Philosemitismus herauszukommen.“

 

5. Der Philosemitismus und das Problem der deutschen Schuld

 

Tugendhat hat sich auch eingehend mit dem Problem der deutschen Schuld gegenüber den Juden und dessen Auswirkung auf das deutsch-israelische Verhältnis beschäftigt und geht deshalb in seiner Kritik am Philosemitismus noch weiter. Er stellt fest: Wird Schuld nicht bewusst aufgearbeitet, dann kann man mit ihr nicht rational und kontrolliert umgehen. Was aber zur Folge hat, dass man sich seinem Gegenüber so verhält, dass man alles tut, was er glaubt, was man zu tun hätte. Man gibt also die Autonomie des eigenen Urteilens preis, und das Gegenüber hat so die Chance, die Schuld zu manipulieren. Tugendhat schreibt: „Es gibt Menschen und auch Staaten, die auf dem irrationalen Schuldgefühl eines anderen virtuos wie auf einem Klavier spielen können. So tun es auch die Israelis mit den Deutschen.“ Man kann dieser Schuld nur entgehen, wenn diese Schuld rational aufgearbeitet wird. Dann besteht nicht mehr die Notwendigkeit, sich den – u.U. auch irrationalen – Wünschen des anderen zu unterwerfen. Der Handelnde behält dann sein autonomes Urteilsvermögen. Die Frage lautet dann: Wie kann ich dem anderen helfen? Wo liegen seine Interessen?

 

Wie sehr die deutsche Politik sich von den Israelis manipulieren lässt, belegt eine Schilderung des Journalisten Werner Sonne. Als in Berlin die Lieferung von weiteren atomar ausrüstbaren U-Booten zur Diskussion stand, warnte der deutsche General Klaus Naumann vor dieser „Schenkung“ aus Steuergeldern an Israel, weil die Israelis damit eine atomare Zweitschlagskapazität bekommen würden. Naumann erinnerte sich später, dass Bundeskanzler Helmut Kohl diese Bedenken nicht gelten ließ: „Kohl wischte das beiseite.“ Der Bundeskanzler begründete seine Entscheidung so: „Wenn die Israelis das fordern, dann werden wir das machen.“ Die israelische Delegation sei bei den Verhandlungen über die U-Boote ziemlich „unverschämt“ aufgetreten, erinnerte sich Naumann später, aber die Israelis bekamen, was sie wollten.

 

Dieses „Einknicken“ der Deutschen vor den Israelis, führt Ernst Tugendhat auf die irrationale Verarbeitung der deutschen Schuld am Holocaust zurück. Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass zwischen Philosemitismus auf der einen Seite und nicht erfolgter oder misslungener (pathologischer) Trauerarbeit sowie auch nicht rational aufgearbeiteter Schuld ein kausaler Zusammenhang besteht. Wie aber hat sich der Philosemitismus konkret auf die deutsche Politik und die Verewigung des Palästina-Konflikts ausgewirkt?

 

Man kann die deutsch-israelischen Beziehungen wie Ernst Tugendhat mit dem Merkmal des „Einknickens“ charakterisieren, man kann sie aber auch wie die israelische Journalistin Amira Hass mit einem eher traurigen Bonmot benennen: „Israel spuckt immer in die Gesichter befreundeter Länder, und in diesen Ländern freut man sich dann über den Regen.“ Gleichberechtigung und ein Verhältnis auf Augenhöhe gibt es in den deutsch-israelischen Beziehungen nicht, alles ist hier einer „historischen Verantwortung“ untergeordnet, also letzten Endes einem höchst fragwürdigen Philosemitismus.

 

6. Die fatalen Folgen des Philosemitismus

 

Das Gespinst aus Antisemitismus und Philosemitismus (Ernst Tugendhat) hat die deutsche Politik aber bis heute nicht hinter sich gelassen, sie hat nur ein Stereotyp gegen ein anderes ausgetauscht. Wenn der Philosemitismus in der Phase der Gründung der jungen Bundesrepublik zur moralischen Legitimierung des demokratischen Charakters gebraucht wurde, also zur Absicherung ihrer Glaubwürdigkeit nach außen, so blieb er das als fester Bestandteil der ideologischen Legitimität bis heute – vor allem im Verhältnis zu Israel. Der Philosemitismus ist sozusagen „Staatsräson“, was aber –große Gefahren und Risiken birgt.

 

 Denn seine Institutionalisierung als eine Säule der deutschen Politik hat eine „nicht unbedingt realitätsorientierte gesellschaftliche Wahrnehmung von Juden“ und ihrer Politik zur Folge. Der Philosemitismus als verfestigter politischer Stil erstarrt zum inhaltsleeren Ritual, das ein wirklich angemessenes Erinnern des Ungeheuren (also des Holocaust) unmöglich macht. Und er verhindert die wirklichkeitsnahe Kenntnisnahme der politischen Fakten und ein entsprechendes Reagieren, wofür die deutsche Nahost-Politik ein äußerst beredtes Beispiel ist. Sie ist keineswegs von einer universalistischen Moral bestimmt, wie sie vorgibt, sondern vorrangig von philosemitischen Motiven und ansonsten von so gut wie ausschließlich machtpolitischen, geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen.

 

Die Leidtragenden dieser Politik sind die Palästinenser – die „Opfer des zweiten Grades“ oder die „Opfer der Opfer“. Sie beklagen sich zu Recht, dass sie durch die Gründung Israels den Preis für den Holocaust bezahlen mussten, er bestand in der Vertreibung ihres Volkes aus seiner Heimat und der Zerstörung ihrer Gesellschaft und Kultur. Der palästinensische Intellektuelle Edward Said, einer der besten Kenner der Problematik des Nahen Ostens hat heftige Kritik an der deutschen Position geübt: „Gewiss, es war richtig, dass das deutsche Volk Reparationen zahlte, aber warum glaubt man in Deutschland, der vollkommen gerechtfertigte Kampf um die palästinensische Selbstbestimmung ließe sich entweder ignorieren oder nur mit bloßen Erklärungen hier und da unterstützen? Die Deutschen sind aufgefordert, die notwendige Verbindung zwischen ihrer Geschichte und unserer zu ziehen (und die nicht zu leugnen) und dann den notwendigen Schluss zu ziehen, Deutschland hat noch eine Verantwortung, der es sich nicht länger entziehen kann.“ Said schrieb diese Zeilen schon im Jahr 2002, an Deutschlands Position gegenüber Israel hat sich seitdem aber nichts geändert. Ganz im Gegenteil: Wer heute die hier zitierten Zeilen öffentlich äußert, muss damit rechnen, als „Antisemit“ diffamiert zu werden.

 

7. Die Spaltung des Judentums und der „neue Antisemitismus“

 

Um das Problem des Antisemitismus in Deutschland bzw. des Antisemitismus-Vorwurfs zu verstehen, muss ich einen kurzen Abstecher in die jüdische Geschichte machen. In der gesamten Geschichte dieses Volkes gibt es zwei gegensätzliche Tendenzen, die sich schon im Alten Testament nachweisen lassen: Es ist der Gegensatz zwischen Absonderung und Isolation auf der einen und universalistischer Offenheit und Öffnung auf der anderen Seite, zwischen Tribalismus (also Stammesdenken) bzw. Nationalismus einerseits und Universalismus andererseits, zwischen ethnischen Fanatismus hier und Toleranz dort. Die jeweiligen Zeitumstände entscheiden darüber, welche Richtung gerade die Oberhand hat. Der Nationalismus, der früher ein Tribalismus war, fühlt sich nur der eigenen Ethnie, dem eigenen Stamm verpflichtet; der Universalismus öffnet sich zur Welt und vertritt radikale humanistische Werte.

 

Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Universalisten im Judentum in der Mehrheit. Mit dem Erstarken des Zionismus in Palästina und den Schrecken des Holocaust vollzog sich eine Wende, denn der Zionismus – die Staatsideologie Israels – ist eine extrem exklusive, ethnisch-partikularistische, nationalistische Ideologie. Im Konflikt Israels mit den Palästinensern wird die ideologische Spaltung in zwei Strömungen – also ethnische Isolation, israelisch-jüdische Exklusivität oder Abschottung auf der einen und universalistischer Universalismus und Humanismus auf der anderen Seite – ganz deutlich, wobei die Grenze nicht zwischen religiös und säkular oder zwischen israelischen und nicht-israelischen Juden verläuft. Es gibt natürlich Überschneidungen, auch in Israel gibt es Universalisten. Aber die Spaltung ist dennoch äußerst radikal.

 

Der britisch-jüdische Philosoph Brian Klug beschreibt sie so: „Die Spaltung im Judentum läuft auf ein ‚entweder oder‘ in der Prioritätensetzung hinaus: Entweder stehen Gruppen- oder ethnische Interessen an erster Stelle oder die universellen Menschenrechte. Diese beiden Sichtweisen sind nicht nur unterschiedlich, sie schließen sich gegenseitig aus. Und doch beanspruchen beide dieselbe Tradition für sich: das Judentum oder die Jidddischkeit. Aus diesem Grund habe ich kürzlich über eine Krise im Judentum gesprochen, eine Krise, bei der der Staat Israel sich als ein Fels herausstellen könnte, an dem das Judentum auseinanderbricht. Heute wird unter Juden eine Schlacht ausgetragen, die in ihrer Art die Zukunft ebenso wesentlich beeinflusst wie der Konflikt in Palästina und Israel.“

 

Klug will das Wort „Schlacht“ metaphorisch verstanden wissen, aber er schildert auch, wie sie Formen annimmt, die seiner wörtlichen Bedeutung entsprechen. Als universalistisch denkender Jude ist er in England dem Hass und der Verachtung anders denkender Juden ausgesetzt, er wird als „Selbst-Hasser“, „Verräter“ oder „Feind des jüdischen Volkes“ beschimpft und denunziert, und das ist kein Einzelfall. Der Israeli  Abraham Burg berichtet, dass „Menschenrechtler“ in Israel so gut wie ein Schimpfwort ist. 

 

Der Gegensatz zwischen partikukaristisch-nationalistischem Ressentiment – also einem im Grunde engherzigen israelisch-ethnischem Bewusstsein – und dem universalistisch-humanistischem Denken ist nicht zu überbrücken. Klug folgert daraus, dass Israel für viele Juden [und wohl auch für viele Nicht-Juden] kein normaler, gewöhnlicher Staat ist, sondern ein höheres Anliegen, ein Ideal, ein Idol, ja ein Götzenbild. Und der Jude Klug fragt anklagend: „Was in Gottes Namen bedeutet, jüdisch zu sein, wenn nicht Götzenbilder von ihren Sockeln zu stoßen?“ Wenn er Israels brutale und inhumane Politik gegenüber den Palästinensern scharf kritisiert, dann will er das so verstanden wissen, dass wir uns „dann nicht gegen unsere jüdische Identität wenden, sondern wir wenden uns ihr zu.“

 

Nicht nur die Spaltung zwischen Partikularisten und Universalisten im Judentum ist uralt, sondern auch die gewollte Trennung von den Nicht-Juden. Sie zieht sich durch die ganze jüdische Geschichte. Der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, erneuerte sie, indem er sich seinen Judenstaat als endgültige Separation der Juden von den Nicht-Juden als Antwort auf den Antisemitismus vorstellte, was ja die radikale Abkehr der Juden von einer als feindselig begriffenen Welt und die Flucht in ein „Land ohne Volk“, wo sich Juden als eine geschlossene national-ethnische Gruppe, geschützt vor ihren Verfolgern, entfalten können sollten. Hannah Arendt hat früh darauf hingewiesen, dass das Trennungsprinzip das Hauptkennzeichen für das Selbstverständnis und die Praxis des Zionismus sei. Sie warnte vor den Risiken und Gefahren einer solchen Entwicklung, die sie als „apolitisch“ und „ahistorisch“ kritisierte, weil die Philosophie eines jüdischen Isolationismus in einer Welt voller Abhängigkeiten zwischen den unterschiedlichen Staaten und Nationen der Realität widerspreche, sie sei illusionär und utopisch. In der Abkehr der Juden von der Welt in der politisch-pragmatischen Form der Errichtung eines jüdischen Staates sah sie kein Mittel für die Bändigung des Antisemitismus und für die Rettung der Juden vor der „Außenwelt“.

 

Das zionistische Israel ist heute ein Staat, der sich abschottet und isoliert – eine Tatsache, die in dem israelischen Glaubenssatz klar zum Ausdruck kommt: „Die ganze Welt ist gegen uns!“ Für die Frage des Antisemitismus-Vorwurfs in Europa und speziell in Deutschland bedeutet das: Wer nicht bereit ist, Israels partikularistischen und auch äußerst aggressiven Sonderweg der Abkapselung, der Trennung und Isolation mit all den politischen Folgen, die das mit sich bringt, mitzugehen und Israel universalistisch vom Standpunkt des Völkerrechts und der Menschenrechte aus beurteilt, ist nach israelischem Verständnis ein „Antisemit“.

 

8. Die nötige Trennung der Begriffe Judentum, Zionismus und Israel

 

Ich denke, dass hier der Kern des ganzen gegenwärtigen Antisemitismus-Problems liegt. Der inflationär erhobene Antisemitismus-Vorwurf täuscht Menschlichkeit vor, weil er Assoziationen an wirklich erlebtes Leid von Juden anspricht, er kann aber auch zutiefst unmenschlich sein, wenn er nur das Partikulare und nicht das Universelle im Auge hat. Deswegen ist es so wichtig, die Begriffe auseinanderzuhalten: Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik zu trennen und natürlich auch Judentum, Zionismus und Israel, wie Moshe Zuckermann nicht müde wird, den Deutschen vorzuhalten, weil sonst die politische Wahrnehmung und ihre Schlussfolgerungen so falsch sind. Aber Zuckermann warnt auch, dass wer sich weigert, die drei Begriffe gleichzusetzen, sich dem fremdbestimmten Antisemitismus-Vorwurf aussetzt.

 

Die Unterschiede zwischen den Begriffen sind sehr klar und eindeutig, aber sie seien hier noch einmal aufgeführt. Judentum ist ein sehr vielschichtiges sozio-kulturelles Phänomen. Es kann als Religion, Kultur oder Schicksalsgemeinschaft verstanden werden, ist in sich aber wieder differenziert in – grob gesehen – etwa Reformjudentum, orthodoxes Judentum und die Chassidim, die Anhänger einer mystischen Richtung sind. Der Zionismus ist dagegen eine politische Ideologie, die sich die Schaffung eines jüdischen Staates zum Ziel gesetzt hat, um den Juden der Welt eine sichere Heimstatt zu bieten. Der heute existierende Zionismus ist eine fast monolithische siedlerkolonialistische Bewegung, deren Ziel es ist, eine möglichst große Fläche Palästinas mit einer möglichst geringen Anzahl darauf lebende Palästinenser zu beherrschen.

 

Wirft man diese Begriffe ganz bewusst in einen Topf und rührt daraus einen Einheitsbrei, dann entsteht daraus der wohl berechnete Antisemitismus-Vorwurf, der stets nur ein Ziel verfolgt: die in der Sache berechtigte und deshalb rationale Kritik an Israels Politik abzuwehren, wobei sehr oft auch zu den Mitteln der Diffamierung und Denunziation gegriffen wird. Der Völkerrechtler Norman Paech beschreibt die Methode, aber auch die Ohnmacht der so Vorgehenden: Weil die brutalen Fakten [der Besatzungspolitik] so offen zu Tage liegen und gar nicht bestritten werden können, kann es gar kein rationales Argument dagegen geben. So wird bei den Israel-Verteidigern ein Gefühl der argumentativen Ohnmacht erzeugt, dem man nur durch den Antisemitismus-Vorwurf zu entkommen glaubt.

 

Dieser Vorwurf ist dank der deutschen Geschichte ‚tödlich‘, er exkommuniziert gleichsam den Gegner und tabuisiert ihn. Wenn Israelis oder Verteidiger dieses Staates den Antisemitismus-Vorwurf benutzen, verkürzen sie das Judentum auf Israels partikulare, zionistische Interessen. Dagegen verwahren sich auch sehr viele Juden. Der Vorwurf des Antisemitismus bei der Kritik an Israels Politik ist in der Tat ja nur dann berechtigt, wenn diese Kritik die typischen antisemitischen Stereotypen benutzen würde. Eine Kritik, die sich auf die humanen Kriterien des Völkerrechts und der Menschenrechte stützt, kann niemals antisemitisch sein.

 

Es stimmt also etwas nicht im Diskurs über den Nahen Osten, wenn man jeden Kritiker der israelischen Politik gleich als „Antisemiten“ diffamiert. Der Kampf gegen den Antisemitismus müsste eigentlich aufklärerischen, emanzipatorischen Charakter haben, nämlich gegen eine der furchtbarsten Formen des Rassismus vorzugehen. Durch den inflationären Gebrauch des Antisemitismus-Vorwurfs hat die Bekämpfung dieses Übels diesen Anspruch so gut wie verloren und ist zu einer Waffe der Diffamierung und der Denunziation geworden.

 

9. Wie der Antisemitismus-Vorwurf missbraucht wird

 

Die schärfste Anklage gegen den Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfes im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung des Holocaust durch die israelische Politik hat der israelische Literaturwissenschaftler Ran Ha Cohen von der Universität Tel Aviv erhoben: „Der Missbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verabscheuungswürdig. Es waren Hunderte von Jahren nötig und Millionen von Opfern, um Antisemitismus – eine spezielle Form von Rassismus, der historisch zum Genozid führte – in ein Tabu zu verwandeln. Menschen, die dieses Tabu missbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegenüber den Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes, als die Erinnerung an jene jüdischen Opfer zu schänden, deren Tod aus humanistischer Perspektive nur insofern Sinn hat, als er eine ewige Warnung an die Menschheit ist vor jeder Art von Diskriminierung, Rassismus und Genozid. Dadurch, dass die jüdischen Opfer der Vergangenheit heraufbeschworen werden, um die jüdischen Täter von heute zu verteidigen, – man denke daran, dass Israel eins der mächtigsten Militärs der Erde hat – stellt dies eine moralische Schwäche dar, die peinlicherweise dem Antisemitismus sehr ebenbürtig ist und ihm auf beklemmende Weise ähnelt.“

 

10. Der Zusammenhang von Antisemitismus und Zionismus

 

Judenhass und Antisemitismus haben im Lauf der Geschichte Furchtbares angerichtet. Deshalb muss man eigentlich meinen, der Zionismus könne keinen größeren Feind haben als den Antisemitismus. Dem ist aber nicht so, das Verhältnis zwischen den beiden –Ismen ist sehr viel komplizierter, denn es gibt auch eine größere Nähe zwischen ihnen, weil der Zionismus rein interessenorientiert ist. Wenn er den Antisemitismus für seinen Vorteil einspannen kann, tut er es auch. Schon der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, schrieb, „dass die Antisemiten unsere Verbündeten und Freunde“ sein werden. Der Antisemitismus ist also ein prägendes Element des Zionismus.

 

Wie eng Antisemitismus und Zionismus zusammenhängen, sieht man daran, wie sehr sich der Zionismus auf der Suche nach einem neuen Judenbild selbst antisemitischer Vorurteile bediente, was in der Verachtung und scharfen Ablehnung der Diaspora zum Ausdruck kommt. Theodor Herzls Texte  über die Diaspora-Juden lesen sich zum Teil wie antisemitische Pamphlete: Diese Juden – zusammengefasst und charakterisiert in der Figur des „Mauschel – werden als feige, devot und unterwürfig bis zur Kriecherei und opportunistisch dargestellt.“ Der „neue“ Jude Israels sollte genau das Gegenteil repräsentieren: Er sollte selbstbewusst, tatkräftig, wehrhaft und stark in jeder Beziehung sein – das Idealbild des Pioniers, der als Bauer, Techniker oder Soldat den jungen Staat Israel aufbaut. Die Verfolgungen, die Leiden und damit auch der Antisemitismus werden für die Juden aber ein identitätsbildendes Element: „Aus dem Antisemitismus wird eine Leidenserwähltheit abgeleitet. Sie kommt darin zum Ausdruck, dass Auschwitz aus allen anderen Völkervernichtungen hervorgehoben wird.“

 

Der Antisemitismus ist zu einem so wichtigen Teil des Zionismus geworden, dass der israelische Schriftsteller Abraham B. Yehoshua feststellte: „In einem gewissen Sinne ist der Antisemitismus zum wichtigsten und natürlichsten Bestandteil der Definition der jüdischen Identität geworden.“ Dies gehe so weit, dass „vielen Juden das Nichtvorhandensein von Antisemitismus verdächtig und unnatürlich erscheint.“ Man muss hier daran erinnern, dass der Zionismus von Anfang an eine ethnozentrische Nationalbewegung war, die sich scharf von den übrigen Kollektiven abgrenzte. Die Assimilation der Juden in der Diaspora wurde als ein großes Unglück angesehen, als eine Bedrohung der Existenz, die mit allen Mitteln verhindert werden musste. Die Spannung zur Außenwelt war also immer da. Der Antisemitismus war der Motor bei der Entstehung des Staates Israel gewesen und er braucht ihn weiter zur eigenen Abgrenzung, solange die Diaspora noch besteht.

 

Der Zionismus ist also ohne den Antisemitismus nicht denkbar, er muss an seiner Fortexistenz festhalten, um die eigene Existenz und den eigenen politischen Weg zu rechtfertigen. Der Antisemitismus ist sozusagen das konstituierende Element des Zionismus. Beide ergänzen sich also komplementär: „Der Judenhass [Antisemitismus] fördert den Nationalismus [Zionismus].“ Der amerikanisch-jüdische Publizist Max Blumenthal geht noch weiter, wenn er feststellt, der Albtraum, eine der größten Ängste [der Zionisten] sei die Vorstellung, dass es keinen Antisemitismus mehr gäbe. Denn ohne Antisemitismus in den westlichen Staaten fiele auch die Rechtfertigung für das zionistische Projekt weg. Es gibt drei äußere Bedrohungen, die Israel zu seiner existentiellen Selbstvergewisserung unbedingt braucht (unabhängig davon, ob diese Bedrohungen real oder fiktiv sind): die Sicherheitslage im Kontext mit den Arabern, das Gedenken an den Holocaust und die Rezeption des Antisemitismus. Alle drei Bedrohungen werden vom israelischen Staat offiziell gefördert, ideologisiert und instrumentalisiert.

 

So bewegt sich das zionistische Israel in einem merkwürdigen Kreis: Es entfacht durch seine Politik der nationalistischen Blindheit und des Größenwahns der militärischen Macht Antisemitismus (besser vielleicht: Antiisraelismus) in der Welt, den es instrumentalisierend  offiziell lauthals beklagt, den es zur Bestätigung seiner Existenz aber unbedingt braucht und über den es wegen der Möglichkeit neuer jüdischer Einwanderung klammheimliche Genugtuung empfindet. Man denke an die Aufforderung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu nach den Anschlägen Anfang des Jahres 2015 in Paris und Kopenhagen, die französischen Juden sollten umgehend nach Israel kommen – sehr zum Ärger der französischen Regierung. Fritz Stern hält Netanjahu deswegen für einen „Architekten der Angst“. Er schaffe die Welt, vor der er sich selbst fürchte und in der Israel immer stärker isoliert werde. Das sei eine Angst erregende Entwicklung.

 

Die Instrumentalisierung des Antisemitismus, die Israel braucht, hat inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass der israelische Literaturwissenschaftler Ran Ha Cohen schreiben kann: „Auf Antisemitismus gerichtete jüdische Aufmerksamkeit hat die Form antisemitischer Verschwörungstheorien angenommen wie die der ‚Protokolle der Weisen von Zion‘: Während der klassische Antisemit jedes Unglück mit der jüdischen Verschwörung in Verbindung bringt, bringen Juden jede Kritik an Israel mit der antisemitischen Verschwörung in Verbindung. Wie wir sehen, ist das nicht die einzige Ähnlichkeit zwischen Anti-Palästinensertum und Antisemitismus.“ Der jüdische Kampf gegen den Antisemitismus ist völlig unglaubwürdig, solange er nicht zugleich auf Distanz zur israelischen Politik in der Palästinenser-Frage geht. Indem man sich selbst zum Opfer erklärt, entlässt man sich selbst in die völlige Verantwortungslosigkeit. Denn die Schuld grundsätzlich nur bei anderen zu suchen und nie über die eigenen Verantwortung nachzudenken, ist – psychologisch gesehen – ein infantiles Verhalten.

 

Hier liegt auch einer der Gründe für Israels schlechtes Image in der Welt: Dieser Staat nimmt für sich in Anspruch, das internationale Recht überhaupt nicht beachten zu müssen. Damit ist Israel auf dem besten Weg, das Gegenteil von dem zu erreichen, was den Zionisten ursprünglich als Ziel vorschwebte: das Problem des Antisemitismus zu lösen anstatt es nun mit einer Politik der Gewalt und Unterdrückung permanent wieder anzufachen, eine sichere Zuflucht für alle Juden der Welt zu sein und ein Volk mit einem Staat wie jedes andere zu werden. Dass das zionistische Israel das nicht realisieren kann, liegt nicht zuletzt daran, dass es – zwar teilweise modern und säkular – dem jüdisch-ethnozentrischen Isolationismus anhängt, der einen humanistisch orientierten Universalismus aber ausschließt.

 

11. Der Holocaust und der Palästina-Konflikt

 

Für das offizielle Israel und die meisten Israel-Verteidiger ist einzig der islamische Antisemitismus für den Konflikt Israels mit den Palästinensern verantwortlich. Die Fakten, dass eine Staatenbildung durch zugewanderte Fremde in einem voll bewohnten Land Gewalt automatisch herbeiführen muss (wovor ja auch viele vorausschauende Zionisten gewarnt haben), und es Hass auf den Zionismus im Nahen Osten erst seit der Ankunft der ersten jüdischen Siedler in Palästina gibt, sind sie nicht bereit einzugestehen.

 

Indem die jüdischen Israelis den Konflikt mit den Palästinensern und den Arabern insgesamt unter das Vorzeichen des Antisemitismus stellen, bringen sie den Konflikt auch direkt mit dem Holocaust in Zusammenhang. Sie vermengen also den kolonialen Konflikt in Palästina mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis. Das heißt aber, dass die Israelis das wahre Geschehen in Palästina, also die wirklichen Ursachen des Konflikts und seine Austragungsformen nicht zur Kenntnis nehmen und verleugnen. Denn die Palästinenser haben mit der Vernichtung der europäischen Juden nichts zu tun. In Palästina handelt es sich aber um eine koloniale Auseinandersetzung bei der ein eingewandertes Volk – die Juden – ein anderes Volk – eben die Palästinenser – mit Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben und ihre Gesellschaft zerstört haben, um in diesem Land ihre staatliche Existenz aufzubauen.

 

Die jüdischen Israelis deuten den Konflikt mit den Palästinensern also als Fortsetzung ihrer Verfolgungsgeschichte außerhalb Palästinas. Wobei es natürlich völlig klar und ganz selbstverständlich war und ist, dass die Angegriffenen – die Palästinenser – sich gegen ihre Vertreibung und Kolonialisierung wehrten und auch heute noch wehren, was aber zu einer paradoxen und absurden Situation führte. Denn die zionistischen Neueinwanderer stellten und stellen sich entsprechend ihrer langen Verfolgungsgeschichte – gipfelnd im Holocaust – als die Angegriffenen und als die Hassobjekte dar, also als die eigentlichen Opfer. Die wirklich Angegriffenen – die Palästinenser – wurden und werden zu den eigentlichen Tätern gemacht. Die Rollen von Tätern und Opfern wurden also völlig umgekehrt. Die Verkehrung machte es auch möglich, dass die Israelis ihre Schuld, die Palästinenser im Verlauf des zionistischen Kolonisierungsprozesses vertrieben zu haben, leugnen konnten. Israel verdrängt die Fakten seines Vorgehens gegen die Palästinenser bis heute. Eine Aufarbeitung des gewaltsamen Vorgehens gegen die Palästinenser – etwa der Nakba – ist für die israelischen Juden deshalb so schwierig, weil damit die Grundlagen des zionistischen Projekts insgesamt in Frage gestellt würden.

 

Dieses Deutungsmuster – also die Vermischung des Traumas der nationalsozialistischen Judenvernichtung mit der kolonialen, von Gewalt geprägten Situation, die die zionistischen Zuwanderer mit ihrem Projekt auf palästinensischem Land geschaffen haben – besagt anders formuliert, dass sich die Wahrnehmung der europäischen Geschichte in den Palästina-Konflikt hineingeschoben hat. Nicht zuletzt dadurch ist er unlösbar geworden.

 

Verteidiger und Propagandisten Israels übernehmen dessen rein zionistische Argumentation, weil sie den Konflikt erstens ahistorisch sehen und ihn zweitens entpolitisieren. Die Feindschaft zwischen Israelis bzw. Juden und Palästinensern bzw. Arabern wird verabsolutiert. Sie wird nicht aus dem kolonialen historischen Prozess heraus erklärt, sondern ahistorisch gesehen. Die Feindschaft wird als gegeben, unveränderlich und unausweichlich verstanden und dargestellt, sie wird sozusagen auf das „Wesen“ der Araber zurückgeführt – eben auf deren Antisemitismus. So wird auch unhinterfragt der zionistische Mythos, der zum Dogma und zur Staatsräson geworden ist, übernommen, dass Israel das Land des jüdischen Volkes ist. Aus der Vermischung des Palästina-Konflikts mit dem Holocaust ergibt sich für Israel automatisch, dass die Palästinenser die „neuen Nazis“ sind, die Israel zerstören wollen.

 

12. Die Wurzeln des arabischen Anti-Israelismus

 

Man muss festfalten: Erst das zionistische Projekt, einen jüdischen Staat in Palästina und damit im arabischen Raum gründen zu wollen und seine Durchführung haben dort eine antiisraelische oder antizionistische Haltung hervorgebracht, die zunächst nicht antisemitisch war, und es auch nur dann ist, wenn sie sich als Hass oder Feindschaft gegen Juden als Juden richtet oder Israel als „kollektiver Jude“ gesehen wird. Der Arabist Alexander Flores nennt drei Gründe, warum die arabische Gegnerschaft zu den Zionisten oft auch antisemitische Formen annahm: Die immensen Schäden und Opfer, die die zionistische Kolonisierung den Arabern besonders aber den Palästinensern zugefügt hat. Dazu kam der Anspruch Israels, für alle Juden weltweit zu sprechen und zu handeln und alle nicht- oder antizionistischen Stimmen dabei an den Rand zu drängen. Dadurch wurde der Unterschied zwischen Zionismus und Judentum in der Wahrnehmung der Araber oft verwischt, was wiederum ein Denken in der Kategorie die Juden begünstigte. Zudem lassen die großen Mächte der Welt Israel bei seiner grausamen und äußerst inhumanen Kolonisierungspolitik ohne einzuschreiten gewähren, was bei den Arabern den Verdacht einer großen Verschwörung nährt.

 

Es kann nicht verwundern, dass der durch das Wirken des Zionismus entstehende Hass auch in Antisemitismus umschlägt – auch wenn Zionisten das bestreiten und behaupten, dass der palästinensische Antisemitismus primär und der Auslöser für die Angriffe auf das zionistische Unternehmen und Israel gewesen sei. Israel habe sich immer nur verteidigt, wird also als „Unschuldslamm“ dargestellt. Wenn man die Fakten kennt, schon das Niederschlagen des Palästinenseraufstandes 1936 zusammen mit den Briten, die Nakba 1948, Israels Kriege gegen die Araber und besonders gegen die Palästinenser mit dem stetigen Zugewinn an Land sowie die brutale Siedlungs- und Besatzungspolitik bis heute, dann erscheint eine solche Sichtweise eher absurd und weltfremd, hat aber natürlich die Funktion, Israel gegen jede Kritik zu immunisieren und die Schuld auf die Araber zu schieben.

 

Auch wenn es also Antisemitismus bei den Arabern und Palästinensern gibt, muss man konstatieren, dass dem heutigen arabischen Antisemitismus ein realer Kolonialkonflikt zu Grunde liegt. Man kann diesen Konflikt und seine Auswirkungen nicht einfach ausklammern. Auch wenn Araber antisemitische Stereotypen aus Europa übernommen haben, so gibt es doch bedeutsame Unterschiede zwischen dem europäischen und arabischen Antisemitismus. Wenn ersterer seine Ursache in der Suche nach Sündenböcken für gesellschaftliche Fehlentwicklungen hat, erklärt sich der palästinensische Antisemitismus eher aus kultureller Rückständigkeit (Stichwort: Verlierer der Modernisierung) und der tiefen Frustration, die die Besatzungsmacht mit ihrer Unterdrückung, Demütigung und Erniedrigung bei diesen Menschen hervorruft. Der libanesische Politologe Gilbert Achcar setzt den palästinensischen Antisemitismus in aller Schärfe vom Antisemitismus der Nazis ab: [„Er ist nicht gleichzusetzen mit dem Hass], den manche Araber empfinden, die empört sind über die Besetzung und Verwüstung arabischen Landes, über die Vertreibung und Enteignung oder Unterjochung der auf diesem Land lebenden Bevölkerung, über die Kriegsverbrechen, die von den Streitkräften eines Staates begangen werden, der sich selbst als Judenstaat bezeichnet.“

 

Letzten Endes ist die Auseinandersetzung um den arabischen Antisemitismus auch wieder eine Frage der Sichtweise von Partikularisten und Universalisten. Wer bedingungslos hinter dem exklusiv-ethnokratisch–zionistischen Staat Israel steht, wird die Araber als „willige Vollstrecker“ eines arabischen Antisemitismus bezeichnen, der sich an den Nationalsozialismus anlehnt. Wer universalistisch denkt, wird wie Gilbert Achcar das Problem differenzierter und weitsichtiger angehen und Israel in seine Kritik mit einbeziehen. Mit Antisemitismus hat eine solche Kritik – wie zu zeigen war – aber gar nichts zu tun.

 

(geschrieben im Dezember 2015)

 

Dem Vortrag liegt mein Buch zu Grunde: Antisemitismus – Philosemitismus und der Palästina-Konflikt. Hitlers langer verhängnisvoller Schatten, Gabriele Schäfer Verlag Herne, ISBN 978-3-944487-30-4, 17,80 Euro