Der Dichter und Hitlers Krieg in Griechenland

Die badische Stadt Staufen hat dem NS-Autor Erhart Kästner eine Gedenkstätte eingerichtet

Die badische Stadt Staufen zollt trotz erheblicher Kritik einem NS-Autor hohe Ehre: Erhart Kästner (1904 – 1974). Sie hat für ihn eine Gedenkstätte im Rathaus der Stadt eingerichtet. Kästner war 1941 als Soldat (er war freiwillig in die Wehrmacht eingetreten und war NSDAP-Mitglied) nach Griechenland versetzt worden. Er bat seinen vorgesetzten General, Bücher über Griechenland schreiben zu dürfen, „damit die Soldaten das Land besser verstehen“ könnten. Kästner bekam den Auftrag und durfte in den folgenden Jahren als Wehrmachtsschreiber durch das Land und über die Inseln reisen. Die Bücher, die er schrieb, waren Hymnen auf Hitlers Krieg und die NS-Weltanschauung. Nach dem Krieg reinigte er seine Werke von den braunen Stellen und sie konnten im angesehenen Insel-Verlag wieder erscheinen. Viele Touristen reisen noch heute mit ihnen durch Hellas. Um die Werke Kästners zu verstehen, muss man auch auf die Vorgeschichte der deutsch-griechischen Beziehungen bis zum Zweiten Weltkrieg eingehen.

 

„Wo bist Du, Land des Homer?“ Dieser Satz ist keine literarische Fiktion, sondern der verzweifelte Ausruf deutscher Soldaten, die im besetzten Griechenland in der Zeit von 1941 bis 1944 Dienst taten. Das Zitat ist überliefert in dem Buch von Günther Müller und Fritz Scheuering „Sprung über Kreta. Ein Bild und Kampfbericht“, erschienen noch im Krieg 1944. In voller Länge heißt das Zitat: „Die Götter und Helden sind nicht mehr, und der Nektar, den sie aus goldenen Schalen tranken, ist Hauptausfuhrartikel geworden. Verklungen sind die Gesänge Äschylos’ und Sophokles’ – zerlumpte, bettelnde Kinder, elende Höhlen und Hütten – wo bist Du Land des Homer? Hellas! Was ist aus deinen stolzen, wehrhaften Stadtstaaten geworden! Wo ist deine Jugend, die einst im olympischen Wettstreit ihre Kräfte maß? [...] Nein, dieses Volk hat mit Hellenentum nichts mehr zu tun. Alles, was vor zweieinhalb Jahrtausenden nordisch war, ist tot. Hellas ist nicht mehr. Die Völkerstürme sind über das Land hinweggebraust und haben das nordische Wesen ausgelaugt. Händlerische Gewinnsucht und orientalische Lebensgesetze beherrschen diese Menschenrasse. Nie wieder werden erhabene Philosophie, Schönheit mit Geist gepaart und heldisches Kämpfertum auf jener, damals so kulturträchtigen Erde erstehen. Hellas und Neugriechenland – welche Gegensätze!“[1]

 

In diesen wenigen Sätzen hat man beinahe die ganze Ideologie zusammengefasst, die das Verhältnis der deutschen Wehrmacht zu den unterworfenen Griechen beherrschte: Hochachtung vor der Antike und Verachtung der griechischen Gegenwart und ihren Menschen. Nun waren natürlich nicht alle deutschen Soldaten und Offiziere Absolventen des humanistischen Gymnasiums gewesen und hatten das klassische deutsche Bildungsideal in sich aufgenommen, aber die nationalsozialistische Propaganda tat mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das Ihre, so dass kein Militär die weltanschaulichen Fundamente des ganz besonderen Verhältnisses zwischen Deutschen und Griechen einfach nicht wahrnehmen konnte.

 

Um dies zu verstehen, muss man kurz auf die nationalsozialistische Geschichtsideologie eingehen, deren Schlüssel die Rassentheorie war. Die Geschichte war für die Nationalsozialisten eine Folge von Rassenkämpfen. Hitler selbst hat definiert, was darunter zu verstehen ist: „Arische Stämme unterwerfen – häufig in wahrhaft lächerlich geringer Volkszahl – fremde Völker und entwickeln nun, angeregt durch die besonderen Lebensverhältnisse des neuen Gebietes (Fruchtbarkeit, klimatische Zustände usw.), sowie begünstigt durch die Menge der zur Verfügung stehenden Hilfskräfte an Menschen niederer Art ihre in ihnen schlummernden geistigen und organisatorischen Fähigkeiten. Sie erschaffen in oft wenigen Jahrtausenden, ja Jahrhunderten, Kulturen, die ursprünglich vollständig die inneren Züge ihres Wesens tragen, angepasst den oben schon angedeuteten besonderen Eigenschaften des Bodens sowie der unterworfenen Menschen. Endlich aber vergehen sich die Eroberer gegen das im Anfang eingehaltene Prinzip der Reinhaltung ihres Blutes, beginnen sich mit den unterjochten Einwohnern zu vermischen und beenden damit ihr eigenes Dasein; denn dem Sündenfall im Paradies folgte noch immer die Vertreibung aus demselben.“[2]

 

Dieses rassenbiologische Geschichtsmodell wandten die NS-Ideologen auch auf die griechische Geschichte an. Hans F.K. Günther hatte als erster ein zusammenfassendes Werk mit dem Titel „Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes“ vorgelegt, das 1929 erschien. Aber Günther, der dann der führende Rassenideologe des Hitler-Reiches wurde, hatte eine Reihe von Vorläufern, an die er anknüpfen konnte. Der britische Historiker Martin Bernal hat in seinem Buch „Schwarze Athene. Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike“ darauf hingewiesen, wie sehr die deutsche wissenschaftliche Beschäftigung mit der griechischen Antike „arisch“ orientiert war. Bernal unterscheidet zwischen zwei Denkmodellen, die man entwarf, um mit ihrer Hilfe die Ursprünge der antiken Kultur zu begreifen: das „antike“ und eben das „arische“ Modell. Das „antike“ Modell besagt, dass die antiken Griechen selbst ihre Kultur als Ergebnis einer Kolonisation ihres Landes durch Ägypter und Phönizier sahen. Das „arische“ Modell leugnet den semitischen, vor allem den phönizischen Einfluss völlig und leitet die Entstehung der antiken griechischen Hochkultur von Einflüssen ab, die die Zuwanderung indogermanischer Stämme aus dem Norden bewirkt hat. Diese Stämme hätten eben die Oberhand über die heimische „ägäische“ oder „prähellenische“ Kultur gewonnen. Aus dieser Mischung aus indogermanisch sprechenden Hellenen mit den ortsansässigen Untertanen sei das klassische Griechenland hervorgegangen.[3] In Deutschland herrschte vom 18. Jahrhundert an das „arische“ Modell vor, wobei ein mehr oder weniger zu Tage tretender Antisemitismus oft nicht zu übersehen war.

 

In diesem Zusammenhang muss wenigstens eine Stimme aus dem 19. Jahrhundert erwähnt werden, die für das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen sowie für die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Antike von großer Bedeutung war: der aus Österreich stammende Orientalist und Publizist Jacob Philipp Fallmerayer (1790 – 1861), auf den sich auch Hans F.K. Günther berief. Fallmerayer behauptete, dass es – rassisch gesehen – keine „reinen“ Helenen mehr gebe, denn in den heutigen Griechen sei „kein nordisches Blut mehr zu finden.“ Er behauptete außerdem, dass mit dem Aussterben der Hellenen jegliches wichtige Kulturelement verschwunden sei, insbesondere der „Sonnenflug des Geistes“. Es gab für ihn nur noch „Sprachgriechen“, denen er aber wegen des mangelnden echten und ungemischten Hellenenblutes jegliche schöpferische Kraft absprach.[4] Die antiken Griechen seien im Mittelalter ausgestorben und durch hellenisierte Slawen und Albaner verdrängt worden, mit denen sich die Griechen vermischt hätten.

 

Hier konnten Rassenideologen wie Hans F.K. Günther anknüpfen und ein kanonisch gültiges rassenbiologisches Geschichtsmodell der hellenischen Geschichte und Kultur entwerfen, das auch den deutschen Besatzungssoldaten in Griechenland propagandistisch unterbreitet wurde. Dieses Modell besagte: Nordische Stämme waren schon früh in Griechenland eingewandert. Zuerst die Mykener, die das „Heldenzeitalter“ der griechischen Geschichte prägten – belegt und dokumentiert in den Epen Homers, die als Belege herangezogen wurden, um die nordische Herkunft der Achaier zu beweisen. Die wurde vor allem an Rassemerkmalen festgemacht, weil viele Götter und Helden bei Homer als „hellhäutig“, „blond“, „goldhaarig“ und „blauäugig“ geschildert werden. Eher dunkelhäutig und dunkelhaarig geschilderte Götter, Helden und Menschen in Homers Epen wurden der „vorderasiatischen Rasse“ zugerechnet.[5]

 

Aber auch die Achaier hätten sich schließlich mit der ursprünglich dort ansässigen Bevölkerung vermischt und sich auf sich auf diese Weise „entnordet“. Dann kommt um 1100 v. Chr. ein neuer Stamm aus dem Norden nach Hellas: die Dorer und nehmen große Teile des Landes in Besitz. Ihre nordische Herkunft glaubten die Rassenideologen aus der griechischen Literatur und Geschichtsschreibung hinlänglich beweisen zu können. Der Einfluss dieser Einwanderung habe im Endergebnis zur Blüte der klassischen Kultur geführt, in der das nordische Ideal sich voll habe entwickeln können.

 

Was nur möglich gewesen sei, weil – nach den Dogmen der biologischen Anthropologie Günthers – die „nordische Rasse“ die politisch weitaus begabteste sei. Nur sie könne ordnend und gestaltend tätig sein, vom Chaos zum Kosmos und zu einer sittlichen Weltordnung hinstreben. Nur der „nordische Mensch“ sei urteilsfähig, wahrhaftig, tatkräftig – der zuallererst von Gerechtigkeit bestimmte Freie. Nur die Nordrasse könne große Staatsmänner hervorbringen. Der „Ost-„ oder „orientalische Rasse“, zu der die ursprünglichen Bewohner Griechenlands und ihre durch Vermischung hervorgegangenen Nachfahren gehörten, sei alles Edle fremd. Sexuelle Gier und Geld seien für diese Menschen sich berührende Begriffe. Zu ihren herausragenden Eigenschaften gehörten gehässiger Neid und körperliche Unreinheit. Politisch vertrete die Ostrasse das Gleichheitsprinzip.[6]

 

Vor allem das dorisch geprägte Sparta erfüllte in den Augen des rassenbiologischen Geschichtsmodells alle Kriterien eines „reinen Rassestaates“. Ja, Sparta habe das nationalsozialistische Staatsmodell geradezu vorweggenommen. Denn hier habe ein Wille zur „Arterhaltung“ scharfe Rassentrennung und innerhalb des Herrenvolkes ein strenges System von Zucht und Auslese bedingt. Sparta sei ein totalitärer Staat gewesen, in dem sich Gemeinschaftsethos, Gleichheitsgrundsatz und Führerprinzip auf ideale Weise miteinander verbunden hätten. Sparta wurde als Bauernkriegerstaat gesehen, in dem eine militärische Wehrgemeinschaft auf agrarischer Grundlage ihr soldatisches Menschenideal zu verwirklichen vermocht habe.[7]

 

Die Projektion des politischen Ideals ging so weit, dass Propagandaminister Josef Goebbels sich bei seinem Besuch in Sparta 1936 „wie in einer deutschen Stadt fühlte“.[8] Auch Athen und andere Polis-Städte wurden in diesem Sinne als Ideal und Vorbild anerkannt: Weil hier der nordische Mensch im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Hochkultur von höchster Reinheit und Schönheit geschaffen habe und Athen eine Reihe von großen Führerpersönlichkeiten hervorgebracht habe. Abstieg und Verfall hätten aber eingesetzt, als das Rassebewusstsein seine Kraft verloren hätte und sich die Idee der Gleichheit – soll heißen die Demokratie – ausgebreitet habe, mit anderen Worten die „Entnordung“ eingesetzt habe. Mit den Makedoniern sei noch einmal „nordisches Blut“ nach Griechenland gekommen, habe aber den Untergang nicht mehr stoppen können. Höhepunkt dieses Zerfalls und Abstiegs sei dann die Zeit des Hellenismus gewesen.[9]

 

Was die NS-Ideologen hier machten, war eigentlich nichts anderes als ein geschickter Kunstgriff oder Trick. Da sie an große Kulturleistungen der Germanen nicht anknüpfen konnten, musste man auf die hellenische Geschichte zurückgreifen: „Es wurde also eine Blutsverwandtschaft zwischen Germanen und Hellenen als zweier hellenischer Stämme postuliert und dann Hellas einfach als Vorgeschichte der Deutschen präsentiert, die sich als rechtmäßige Erben der griechischen Hochkultur ansehen sollten.“

 

Dieser Auffassung war auch Hitler selbst, dessen tiefe Bewunderung der klassischen hellenischen Periode galt. In seinen Tischgesprächen kritisierte er die vergleichsweise bescheidenen Ausgrabungsergebnisse in germanischen Siedlungen: In derselben Zeit, in der unsere Vorfahren die Steintröge und Tonkrüge hergestellt hätten, von denen unsere Vorzeitforscher so viel Aufhebens machten, sei in Griechenland eine Akropolis gebaut worden.[10] Einmal bemerkte er: „Sehen wir auf die Griechen, die auch Germanen waren, so finden wir eine Schönheit, die hoch über dem liegt, was wir aufzuweisen haben.“[11] Und er fügte hinzu: „Wenn man uns nach unseren Vorfahren fragt, müssen wir immer wieder auf die Griechen hinweisen.“[12] Ein anderes Mal bemerkte er: „Der Germane musste nach einem sonnigen Klima [ziehen], um seine Fähigkeiten entwickeln zu können. In Griechenland und Italien konnte sich der germanische Geist erst entfalten.“[13] Er selbst bescheinigte sich eine Wahlverwandtschaft mit Perikles[14] und ließ sich für den Berghof auf dem Obersalzberg ein Besteck anfertigen, das neben seinen Initialen AH und dem Reichsadler den liegenden „Mäander“ vom Parthenon in Athen trug.[15]

 

Neben der Verwandtschaft der Rassen wurde von den Ideologen und Propagandisten des NS-Systems auch eine darauf beruhende „Wesensverwandtschaft“ zwischen Hellenen und Germanen-Deutschen behauptet. Einer dieser Ideologen, Ernst Krieck, schrieb, „dass unter allen aus dem indogermanischen Urstamm hervorgegangenen Völkern die Deutschen mit den Hellenen wohl die engste innere Berührung haben. Das auf Ganzheit und Vollendung gerichtete Lebensempfinden und der tragische Unterton im Daseinsakkord auch bei den Hellenen sind es wohl, die bei uns dieses Bewusstsein einer besonderen Wesensähnlichkeit haben entstehen lassen.“ [16]

 

Wenn die Bluts- und Wesensverwandtschaft zwischen Germanen-Deutschen und Hellenen so eng war, hatten die Ideologen des Systems auch kein Problem, die „Wiedergeburt des deutschen Volkes“ durch die nationalsozialistische Machtergreifung 1933 als „Wiedergeburt der Antike“ darzustellen, das Dritte Reich als Auferstehung der hellenischen Hochblüte auszugeben.[17] Mit anderen Worten: „Künftig diente die Vereinnahmung des alten Hellas dazu, dem Dritten Reich eine weltgeschichtliche Dimension zu verleihen, es historisch zu legitimieren und damit zu dauerhafter Herrschaftsstabilisierung beizutragen. Das Dritte Reich wurde als Nachfolgerin von Hellas in der Rolle der geistigen Führungsmacht Europas deklariert.“[18]

 

Was sich in der Propaganda offenbar so einfach und leicht behaupten ließ, nahm sich in der Geschichtswissenschaft – auch der von den Nationalsozialisten bestimmten – sehr viel schwieriger aus. Das sei hier nur angedeutet. Denn die geschichtliche Existenz eines Volkes der Indogermanen war sehr problematisch, weil „Sprache“ nicht ohne weiteres mit „Volkstum“ und „Rasse“ gleichzusetzen waren. Selbst der Indogermanist Professor Richard Harder vom Amt Rosenberg musste zugeben, dass die Auseinandersetzung der eingewanderten Griechen mit den unterworfenen Fremden ein noch lange nicht erschöpftes Grundthema der griechischen Geschichte sei. Man konnte sich hier nur auf Spekulationen stützen.

 

In der Propaganda gab es diese Probleme aber nicht und in diesem Sinne beanspruchte der Nationalsozialismus auch das geistige Erbe der Klassik für sich – der hellenischen wie der deutschen. Denn auch letztere war ja eng mit dem Griechentum verbunden. Die deutsche Klassik war – so hat es der Germanist Walther Rehm definiert – „eine sehnsüchtige Suche des neu-abendländischen Menschen nach seinem Ursprung, sein Verlangen nach der fast verlorenen Ur-Kunde der eigenen Art, nach der Heimat, die ihn einst umschloss, nach einem Glauben, der ihn bindet und hält. Unbestreitbar hat die griechische Antike dem deutschen Menschen am Ende des 18. Jahrhunderts als große Gestalt vor Augen gestanden, sie war ihm Glaube und Glaubensmacht, sie bedeutete ihm in seinen edelsten Vertretern eine Form des Absoluten, sie war ihm Rückbindung und also Religion. Denn nicht anders und nicht weniger tief muss man die gläubige Griechensehnsucht der Deutschen zu fassen sich bemühen“[19] – die deutsche Griechenlandsehnsucht, die etwa in Goethes Vers in der „ Iphigenie“ zum Ausdruck kommt, dass man „das Land der Griechen mit der Seele suchen“ müsse, aber auch in Hölderlins Frage: „Was ist es, was an die alten seligen Küsten mich fesselt, dass ich noch mehr sie liebe als mein Vaterland?“

 

Aber diese Griechenlandsehnsucht, die in der deutschen Klassik zum Griechenland-Glauben wird, enthält ja auch eine ethische Aufforderung, ein ethisches Ideal, das den Menschen aufruft, zu sich selbst und seiner ihm möglichen Vollkommenheit zu streben: „Werde, der Du bist, gestalte deinen inneren idealischen Menschen – was aber nichts anderes heißt, als sein inneres Griechentum zu entdecken, was wiederum identisch mit erhöhtem deutschen Menschentum ist.“ Walther Rehm schreibt, dass die deutsche Klassik in der Antike und vorrangig im Griechentum objektiv das fand, was man brauchte und sehnsüchtig wünschte: den magischen Spiegel, aus dem besonders der Deutsche seine eigene Gestalt in fremder gereinigter Form zu empfangen hoffte.[20]

 

Mit der Kenntnis der klassischen Sprachen, bewandert in der altgriechischen Literatur und mit dem hohen Bildungsgut der deutschen Klassik im Tornister waren viele Soldaten und Offiziere der Wehrmacht nach Griechenland gekommen. Die nationalsozialistische Propaganda verstärkte dieses Gedankengut, indem sie es übernahm und mit ihrer Rassenlehre und ihrem Geschichtsmodell verband. Wenn die aus dem Norden stammenden Hellenen die eigentlichen Vorfahren der Deutschen waren, dann bezeugte das rassische Kontinuität, warf auch einen Schein von Größe und Legitimation auf das neue Reich der Nationalsozialisten. Und durch die Berufung auf das antike Vorbild und die Nachahmung der antiken Kunst im Baustil und in der Skulptur versuchten sie, ihren Machtanspruch auch ästhetisch zu verklären.[21]

 

Die Berufung auf die mykenische und klassische Blütezeit ließ sich aber auch vorzüglich erziehungspolitisch nutzen, denn aus dieser Zeit leitete die NS-Ideologie ihr „heldisches Menschenideal“ ab, das den Kampf nordischer Stämme gegen ursprünglich dort ansässige – und rassisch aus der NS-Sicht – minderwertige Bevölkerung verklärte. Dieses „heldische Menschenideal“ wurde sowohl Schülern und Studenten wie auch den Soldaten in Griechenland gelehrt.

 

Das wirft nun die Frage nach dem Verhältnis der Wehrmacht zu den Neugriechen während der Besatzungszeit auf. Wenn der Bezug auf die rassisch interpretierte Antike eine feste Größe war, musste die Beziehung zu den Neugriechen eine veränderbare Größe sein, die stark von der jeweiligen politischen und militärischen Konstellation abhing. Der Satz Fallmerayers, den Günther später übernahm, dass in den heutigen Griechen kein nordisches Blut mehr zu finden sei, galt dabei natürlich weiter, aber man musste eben auch politische und diplomatische Rücksichten nehmen und deshalb war das rassische Dogma zunächst kaum lupenrein durchzuhalten. Anlässlich der Olympischen Spiele 1936 sprach die NS-Propaganda natürlich nicht von einer „rassischen Kontinuität“ der Neugriechen mit den alten Hellenen, man gestand aber immerhin eine „Kontinuität des Volkstums“ zu – so schrieb etwa der „Völkische Beobachter“ am 24.7.1936.[22]

 

Auch die Beziehungen des Hitler-Staates zur Diktatur von Ioannis Metaxas, die im Jahr der Olympischen Spiel 1936 errichtet wurde, gestalteten sich – diplomatischer Notwendigkeit folgend – eher freundlich, galt Metaxas, der an der preußischen Militärschule in Potsdam ausgebildet worden war, zudem als sehr germanophil. Er identifizierte sich voll mit den ideologischen Konzepten des Faschismus. Sein Regime, das „Dritte griechische Reich“, erfüllte auch viele Kriterien des Faschismus – mit einer Ausnahme: es fehlte ihm aber eine Massenpartei. Viele Historiker bezeichnen sein System denn auch als eine „Königsdiktatur“ (weil der König im Amt blieb) oder als „Monarchofaschismus“.[23]

 

Aber auch die andere, auf Rassismus beruhende Einschätzung der Neugriechen hatte natürlich weiter ihre Anhänger in Deutschland. So schrieb der deutsche Gesandte in Athen, Eisenlohr, in dieser Zeit nach Berlin: „Die antikommunistischen, faschistischen und den Nationalsozialismus nachahmenden griechischen Vereinigungen leiden alle an der Zersplitterung, der natürlichen Undiszipliniertheit des Volkscharakters, an der Neigung zum Reden und der Abneigung gegen tatkräftiges Handeln. Die Griechen sind als Volk patriotisch, aber der Gedanke des Staats und der Notwendigkeit, für den Staat Opfer zu bringen, ist ihnen fremd. Die Politik wird ganz allgemein als ein Mittel betrachtet, sich selbst zu erhöhter Geltung zu bringen oder sich materielle Vorteile zu verschaffen.“[24]

 

Aber mit diplomatischer Rücksichtnahme war es vorbei, als Anfang April 1941 die deutsche Wehrmacht in ihrem letzten Blitzkrieg in Griechenland einfiel und das Land in drei Wochen besetzte. Das nationalsozialistische Griechenlandbild nahm nun wieder schärfere Konturen an, wenn auch erst nach einer gewissen Schonzeit. Die griechische Armee verteidigte sich tapfer gegen die Wehrmacht, sodass Hitler nach der Kapitulation in Anerkennung ihrer militärischen Leistung die gesamte griechische Armee nach Hause entließ. Im Reichstag erklärte er: „Dem besiegten unglücklichen griechischen Volk gegenüber erfüllt uns aufrichtiges Mitleid. Es ist Opfer eines Königs und einer kleinen verblendeten Führungsschicht [geworden]. Es hat jedoch so tapfer gekämpft, dass ihm auch die Achtung seiner Feinde nicht versagt werden kann.“[25] Es gibt andere Äußerungen von Hitler, die ähnlich klingen – waren sie nun aufrichtig oder nicht. So sagte er dem ungarischen Gesandten in Berlin, die Konfrontation mit Griechenland sei ein Wermutstropfen in der Freude über die großen Erfolge. Irgendwo könne man das Gefühl nicht ausschalten. Wenn Griechenland die Engländer nicht hereingelassen hätte, so hätte man es nie angegriffen.[26]

 

Dementsprechend ergeht auch die Weisung aus dem Oberkommando der Wehrmacht, die griechischen Gefangenen „ausgesucht gut“ zu behandeln. Der eigentliche Feind dort seien die Engländer. Die deutsche Propaganda in Griechenland erklärte immer wieder, man sei als „Freund“ gekommen, der eben abgeschlossene Feldzug sei ein Krieg gegen England gewesen.[27] Die politische Absicht hinter solchen Aussagen war, die Griechen freundlich zu stimmen, weil man sie als Partner in Hitlers neuem Europa integrieren wollte.

 

Vom Anfang der Besatzung an bemühte sich die Wehrmacht auch darum, ganz im Sinne der nationalsozialistischen Geschichtsideologie bei den Soldaten Ehrfurcht vor den Denkmälern der antiken Kultur zu wecken und auf diesem Weg die griechische Antike als Ursprung der europäischen Kultur zu vermitteln. Es wurden Bücher über die Geschichte des Landes herausgegeben, Führungen für die den antiken Stätten organisiert, die durch Vorträge ergänzt wurden. Der Rundfunksender für die Soldaten brachte ausführliche Berichte zu Themen der hellenischen und deutschen Klassik.

 

Die Wehrmacht hatte eine eigene Abteilung für „Kunstschutz“ ins Leben gerufen, die dafür sorgen sollte, dass die griechischen Altertümer durch die Besatzung keinen Schaden nehmen sollten. Es wurden Merkblätter an die Truppe verteilt, in denen es hieß: „Benimm dich an ehrwürdigen Stätten eines fremden Volkes wie an denen Deiner Heimat. Man schmiert und kratzt nicht seinen eigenen unwichtigen Namen auf die Trümmer ehrwürdiger Bauten.“ Und: „Die Ruinenstädte Griechenlands stehen unter dem Schutz der deutschen Wehrmacht. Der deutsche Soldat verhält sich auch an solchen Stätten achtsam und vorsichtig, um nichts zu beschädigen.“[28]

 

Die Propaganda stellt immer wieder auch den ideologischen Anspruch auf das geistige Erbe der Antike heraus. So hieß es in der Frontzeitung „Deutsche Nachrichten in Griechenland“ am 1. Juli 1942: „Wir deutsche Soldaten sind nicht als Feinde in dieses Land gekommen. Auch als Fremde kamen wir nicht, denn in unseren Herzen haben die Tempel schon gestanden, bevor das Auge sie sah und griechischer Geist hat auch dem Letzten von uns sein Weltbild formen helfen, auch wenn er selbst es nicht weiß! Auf dem Weg, der von Hölderlin über Winckelmann, Schliemann und Burckhardt bis in die Forschungen der Kriegszeit reicht, sind auch die Bausteine des neuen abendländischen Geistes herangetragen worden, der unsere Zukunft prägen wird. So ist uns Nationalsozialisten durch Griechenland Aufgabe und Verpflichtung geworden, alles urgermanische Erbe fruchtbar werden zu lassen in unserer Zeit, für uns und Europa.“[29]

 

Aber das Verhältnis der Besatzer zu den Griechen verschlechterte sich zusehends, als die Okkupanten nach der Eroberung Kretas im Mai 1941 erstmals harte Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung dort anwandten. Denn an der Verteidigung der Insel hatten neben den Briten auch Zivilisten teilgenommen. Viele deutsche Fallschirmjäger waren bei den Kämpfen getötet worden. Reichsmarschall Hermann Göring selbst befahl Vergeltungsmaßnahmen, die auch durchgeführt wurden. Zahlreiche Kreter wurden hingerichtet, andere gingen als Partisanen (Andarten) in die Berge und leisteten von dort aus Widerstand. Das war auch ein Signal für das Festland. Der Widerstand der Kreter galt als vorbildhaft und gehörte von nun an wie die deutsche Repression zum Alltag.

 

Ein weiteres einschneidendes Ereignis war die „Schändung“ der Hakenkreuzfahne auf der Akropolis. Die Wehrmacht hatte sie auf der antiken Stadtburg bei ihrem Einmarsch in Athen gehisst. Zwei Studenten holten sie in einer kühnen Aktion am 31. Mai 1941 herunter – eine Widerstandshandlung von großer Symbolkraft. Denn als die Fahne dort aufgezogen wurde, hatte es geheißen: „Mit dem Hakenkreuz auf der Akropolis hat Deutschland den Schutz des griechischen Ahnenerbes im neuen Europa übernommen.“[30] Ein weiteres wichtiges Ereignis, das die Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten nachhaltig verschlechterte, war die große Hungerkatastrophe im Winter 1941/42. Die Reichsführung in Berlin weigerte sich, Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, weil man der Meinung war, dafür sei Italien zuständig, weil es – auf deutschen Wunsch hin – den größten Teil Griechenlands besetzt hielt. Die Engländer gaben den Deutschen die Schuld, weil diese als eigentliche Besatzungsmacht nach der Haager Landkriegsordnung zur Hilfe verpflichtet seien und taten auch nichts. Bis zu 300 000 Menschen – in Athen allein 100 000 – kamen ums Leben.[31]

 

Mit dem Erstarken der griechischen Widerstandsbewegung und dem wachsenden Hass, der den Deutschen wegen der Repressionsmaßnahmen entgegenschlug, verschlechterte sich das Verhältnis der Wehrmacht gegenüber der Bevölkerung, das ohnehin von Anfang an gespannt und von Vorurteilen nicht frei war. Kontakte zwischen den Soldaten und den Zivilisten, die am Anfang noch geduldet wurden, waren nun streng untersagt.

 

Auch mit dem pfleglichen Umgang mit den griechischen Altertümern war es nun vorbei. Zwar galten die Verhaltensregeln für die Soldaten bei Besuchen der antiken Ruinenstätten weiter, aber nun war auch Kunstraub an archäologischen Stätten – etwa durch das „Sonderkommando Griechenland“, das zum Amt von Reichsleiter Alfred Rosenberg gehörte, an der Tagesordnung. Natürlich gab man vor, nur an der Sicherung, sachgemäßen Unterbringung, Pflege und Auswertung der Objekte interessiert zu sein. Diese Aufgabe traute man den Griechen aber offenbar nicht zu.[32]

 

Interessant ist, wie ein prominenter Grieche die damalige Situation beurteilt hat. Der Komponist Mikis Theodorakis, der als junger Mann im Widerstand gegen die deutschen Besatzer kämpfte, schrieb in seinen Erinnerungen: „Als die Deutschen [...] in Griechenland einfielen, war ein großer Teil der Griechen immer noch germanophil eingestellt. Der größte Teil unserer Wissenschaftler hatte in Deutschland studiert und es gab eben viele, die die Deutschen liebten. Als sie in Griechenland einfielen, waren die Verbrechen, die sie beim Einmarsch in Frankreich, Polen und sonst wo begangen hatten, für die meisten von uns noch unbekannt. Die Leute wussten nichts davon. Hitler war für sie fast so etwas wie ein ‚Sozialist’, hinter dem das ganze deutsche Volk stand. Das allgemeine Klima war entsprechend deutschlandfreundlich und überhaupt nicht feindlich.“[33]

 

Und an anderer Stelle schreibt er über die neue Situation: „Es herrschte nun allgemein der Terror der Gestapo und der SS. Die berüchtigten Hauptquartiere der Gestapo und der SS befanden sich mitten in Athen, und jeder kannte sie; z.B. ihre Folterkammer in der ‚Odos Merlin’ und das „Chaidari“-Gefängnis der Waffen-SS. Und so wurden aus den fast fünfzig Prozent der anfangs deutschfreundlichen Griechen erbitterte Gegner dieser Deutschen. Zum Schluss war niemand mehr für sie, außer den faschistischen griechischen Kollaborateuren. Dabei hatte gerade die Tradition der deutschen Klassik ein großes Echo in Griechenland gefunden. Die griechischen Intellektuellen verehrten Goethe, Beethoven, Bach und Rilke. Deutscher Geist und deutsche Kultur hatten immer einen starken Anklang bei uns. Aber der Faschismus hat das alles über den Haufen geworfen.“[34]

 

Das Klima zwischen Besatzern und Besetzten war also völlig umgeschlagen. Was auf deutscher Seite hieß: Das rassenbiologische Verdikt wurde wieder hervorgeholt – und damit ging die offizielle deutsche Propaganda zu einer harten ideologischen Tonart über. Hans F.K. Günthers auf Fallmerayer zurückgehender Satz, dass „in den heutigen Griechen kein nordisches Blut mehr zu finden sei“, erlangte wieder volle Gültigkeit. In vielen Variationen tauchte er nun immer wieder in den in Griechenland erscheinenden deutschen Frontzeitungen, Büchern und Rundfunkberichten auf. Die Neugriechen wurden von nun an in übelster Weise diffamiert und verunglimpft – eben als „Untermenschen“ dargestellt. So hieß es etwa in dem schon erwähnten Buch „Sprung über Kreta“: „Ich glaube, dass ein Grieche zehn Juden übers Ohr haut. Das Handeln und Feilschen liegt den Griechen im Blut. Von einer geregelten Arbeit wollen die meisten nichts wissen. (...) Nein, dieses Volk hat mit Hellenentum nichts mehr zu tun. (...) Wild blüht der Straßenhandel. Auf Schritt und Tritt werden wir von diesem Gesindel verfolgt. (...) Über all diesem Marktgeschrei und diesem Händlergeist schaut erhaben die Akropolis in die Stadt. (...) Wie armselig ist doch dieses Krämervolk da unten! Sie verkaufen billige Massennachbildungen ererbter Kulturdenkmäler, äffen englische und französische Zivilisation nach, weil sie selbst unfähig sind, schöpferisch zu leben. Erst deutsche Forscher und Gelehrte mussten kommen, um die große Kultur der alten Griechen der Nachwelt zu erschließen.“[35]

 

Die Griechen wurden in den Frontzeitungen als „speckiges Volk mit Kulleraugen“ dargestellt, als ein „fauler, schmutziger und betrügerischer Menschenschlag“.[36] Der kommandierende General der 117. Jägerdivision und zugleich „Kampfkommandant Peloponnes“, General LeSuire, (der im übrigen für das Massaker von Kalavryta verantwortlich war), sprach von den Griechen, die ihm und seiner Truppe als Partisanen massiv zusetzten, von einem „Sauvolk“, das aus „Nichtstuern, Schiebern und Korrupteuren“ bestehe.[37] Solchen „Banditen“ und „Kommunisten“ gegenüber konnte es natürlich kein Nachsehen mehr geben. LeSuire machte seinen Truppen zur Richtschnur: „Milde und Mitleid einem Volk gegenüber, das die Großmut des Deutschen Reiches ständig missbraucht und kommunistisches Ideengut in sich aufgenommen hat, sind falsch.“ Dieser Aussage folgte der Befehl: „Erschießung einwandfreier Kommunisten kann in beliebiger Zahl erfolgen. (...) Flüchtet die Bevölkerung der Orte bei Annäherung der Truppe, sind die Männer auf der Flucht zu erschießen.“[38] Man muss natürlich bezweifeln, ob die deutschen Soldaten bei fliehenden Menschen besonders gut unterscheiden konnten, bei wem es sich um Kommunisten handelte und bei wem nicht. Hardliner wie LeSuire konnten sich bei ihrem Vorgehen auf die NS-Rassenideologie, auf Anordnungen des Führerhauptquartiers und des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) berufen, wo man brutales Durchgreifen und das „Abstreifen aller europäischen Hemmungen“ forderte.[39]

 

Mikis Theodorakis hat in seinen Erinnerungen den Typ des deutschen Militärs beschrieben, der in Griechenland wütete, wobei er anmerkt, dass es in der Wehrmacht auch Ausnahmen gegeben habe. Etliche hätten sogar die Front gewechselt und auf der Seite der Partisanen gekämpft. Er schreibt: „Die Akropolis wimmelte von Deutschen, die mit Büchern in der Hand die Tempelanlagen besichtigten. Im antiken Theater des Herodes Attikus gab es ein Soldatenkonzert nach dem anderen. Aber dieselben Deutschen, die die Akropolis bewunderten und zu Konzerten gingen, waren andere Menschen, wenn sie von da wieder zurückkehrten. Sie waren imstande, einem Kind, das ihnen einen Kochtopf gestohlen hatte, die Arme über dem Knie zu brechen und es zu töten. Die Nazi-Ideologie hatte die Deutschen zu Schizophrenen gemacht. Sie hatten eine gespaltene Persönlichkeit, halb Mensch, halb Bestie – ein und derselbe Mensch. (...) Es gab furchtbare, unmenschliche und sadistische Verbrechen und geradezu kollektive Perversionen auf Seiten der Deutschen.“[40]

 

Zusammenfassend muss man sagen: Die NS-Ideologie mit ihrem rassebiologischen Geschichtsmodell, die Europa verheert und für den Holocaust verantwortlich war, hatte auch Tod und Vernichtung über Griechenland gebracht. Die Entmenschlichung und Dämonisierung der Neugriechen als „Untermenschen“ machten die Verbrechen erst möglich, für die Namen des Schreckens wie Komeno, Distomo, Kalavryta und viele andere stehen. Dass die Nationalsozialisten auch noch den Anspruch erhoben, ein Recht zu haben, Griechenland in Besitz zu nehmen, weil sie sich als blutsmäßige und geistige Erben der antiken Hellenen fühlten, war der Gipfel der ideologischen Perversion. Der kretische Schriftsteller Nikos Kazantzakis wurde nach dem Krieg von der Regierung in Athen beauftragt, eine Liste der Kriegsschäden auf der Insel zusammenzustellen. Monatelang bereiste er Kreta, besuchte hunderte von Dörfern und alle Städte. In seinem Bericht zeigte er sich entsetzt darüber, was die Armee eines großen Kulturvolkes, das er so geliebt und von dessen großen literarischen Werken er viele ins Griechische übersetzt hatte, in seiner Heimat angerichtet hatte.

 

An dieser Stelle kommt der Schriftsteller Erhart Kästner ins Spiel, der prototypisch für das bisher Gesagte steht. Eigentlich ein eher introvertierter, unpolitischer, romantischer  Schöngeist und der deutschen Innerlichkeit zugetan – hat er sich doch dafür hergegeben, als Propagandist der Wehrmacht in Griechenland das inhumane Weltbild der Nationalsozialisten zu vertreten. Kästner, der eigentlich Bibliothekar war, war als Unteroffizier nach Athen gekommen und hatte sich den Generälen dort angedient, indem er sich anbot, Bücher für die Soldaten zu schreiben, damit sie das Land, seine Kultur und seine Bewohner besser verstehen könnten. Die Generäle willigten ein und Kästner durfte von nun an – befreit von militärischen Pflichten und unter der Protektion seiner höchsten Vorgesetzten – durch das Land und über die Inseln fahren und wandern, Eindrücke sammeln und Bücher schreiben. Nach dem Krieg hat er seine Bücher ideologisch gesäubert und wieder auf den Markt gebracht. Er gilt heute noch als einer der bekanntesten Griechenland-Autoren deutscher Sprache.

 

Das Ergebnis seiner Recherchen soll hier kurz zusammengefasst werden. Kästner, der auch NSDAP-Mitglied war, glaubte vorbehaltlos an das rassenbiologische Geschichtsbild der NS-Ideologie. Er teilte auch den Glauben, dass das alte Griechenland von nordischen Stämmen erobert und kolonisiert worden war. Daraus folgerte er dann, dass das alte Hellas zur Vorgeschichte der Deutschen gehörte, die Deutschen also die rechtmäßigen Erben der hellenischen Hochkultur seien. Damit legitimierte er auch den Überfall der Wehrmacht auf Griechenland.

 

Einige Beispiele: Die Achaier der mykenischen Kultur sind für ihn „Nordmänner“. Er registriert das in Tiryns und Mykene.[41] Den antiken Griechen bescheinigt er eine nordische Abkunft, sie seien deshalb eigentlich Fremde in diesem Land.[42] Diese Einwanderer müssten sich in Griechenland deshalb so wohl gefühlt haben, weil die griechische Landschaft auch so „nordische Züge“ aufweise. So muten ihm die beiden heiligsten Orte der Hellenen, Delphi und der Olymp, rein „nördlich“ an.[43] Er leitet davon ein besonderes Heimatrecht der Deutschen in Hellas ab. In Sparta, das Goebbels ja schon als „rein deutsche Stadt“ bezeichnet hatte, erinnert er daran, dass die Lakedaimonier – besonders ihre schönen Frauen – „groß, schlank, blond und blauäugig“ gewesen seien.[44] Und in Kreta – vor allem im gebirgigen Westteil – sah er auch überall „große, blonde und blauäugige“ Menschen, die er für reine Nachfahren der Dorer hält. Einem Sfakioten bescheinigt er germanisches Aussehen.[45]

 

Wenn die Deutschen wegen der Blutsverwandtschaft zwischen Germanen und Helenen – die rechtmäßigen Erben der antiken Hochkultur sind, dann muss – so ist die Schlussfolgerung Kästners, die Eroberung des Landes durch die Wehrmacht auch legitim sein. Für ihn ist es dann auch folgerichtig, eine mythische Identität zwischen den homerischen Kriegshelden und denen der Wehrmacht herzustellen. Absoluter Höhepunkt dieser Heroisierung und direkten Vergegenwärtigung des Mythos ist in seinem Buch „Griechenland“ die Schilderung zurückkehrender Soldaten aus Kreta, die Kästner auf einem offenen Güterzug am Fuße des Olymp sieht. Die hymnisch geschriebene Passage lautet:

 

„An dieser Stelle unserer Fahrt begegneten wir einem Zug, der nordwärts fuhr und auf einer Ausweichstelle der eingleisigen Strecke unser wartete. Es waren Männer von Kreta, die von dort kamen und nun einem neuen Ziel und einem neuen Kampf entgegengingen. Unser Zug schob sich langsam an der nachbarlichen Wagenreihe entlang. Auf den offenen flachen Eisenbahnwagen standen fest vertäut die Geschütze, die Kraftwagen und die Räder, von Staub überpudert und deutlicher von den überstandenen Strapazen redend als die Männer. Darauf und dazwischen saßen, standen und lagen gleichmütig die Helden des Kampfes, prachtvolle Gestalten. Sie trugen alle nur die kurze Hose, manche den Tropenhelm und blinzelten durch ihre Sonnenbrillen in den hellen Morgen. Ihre Körper waren von der griechischen Sonne kupferbraun gebrannt, ihre Haare weißblond. Das waren sie, die 'blonden Achaier' Homers, die Helden der Ilias. Wie jene stammten sie aus dem Norden, wie jene waren sie groß, hell, jung, ein Geschlecht, strahlend in der Pracht seiner Glieder. Alle waren sie da, der junge Antenor, der massige Ajax, der geschmeidige Diomedes, selbst der strahlende, blondlockige Achill. Wie anders denn sollen jene ausgesehen haben als diese hier, die gelassen ihr Heldentum trugen und ruhig und kameradschaftlich, als wäre es weiter nichts gewesen, von den Kämpfen auf Kreta erzählten, die wohl viel heldenhafter, viel kühner und bitterer waren als alle Kämpfe um Troja. Wer auf Erden hätte jemals mehr Recht gehabt, sich mit jenen zu vergleichen als die hier - die nicht daran dachten? Sie kamen vom schwersten Siege, und neuen, unbekannten Taten fuhren sie entgegen. Keiner von ihnen, der nicht den Kameraden, den Freund da drunten gelassen hätte. Um jeden von ihnen schwebte der Flügelschlag des Schicksals. Es wehte homerische Luft.“[46] Besser als mit dieser hymnischen Herstellung einer mythischen Beziehung zwischen Antike und Gegenwart kann man Hitlers Krieg in Griechenland wohl nicht rechtfertigen und idealisieren. Der Historiker Hagen Fleischer nannte Kästner denn auch einen „Arno Breker der Feder“.

 

Kästner war nur an dem idealen Griechenland der Antike interessiert – so wie es auch die NS-Ideologie mit ihrem rassischen Hintergrund verklärte. Das reale Griechenland der Gegenwart hat ihn nur abgestoßen, ja angeekelt. In seinem Kreta-Buch schrieb er: „Armes Griechenland! Du bist nichts als die ehrwürdige Schlacke, die uns noch blieb von dem großen heiligen Feuer, das hier einstmals der Menschheit gebrannt hat.“[47] Was er wollte und anstrebte war: „Im neuen Griechenland das alte suchen und unter dem Kleide des neuen das Unvergänglich, Ewige“[48] – das Schöne, Wahre und Edle. Mit anderen Worten: Er war auf der Suche nach dem Apollinischen – in der griechischen Natur, den antiken Bauwerken und im Mythos. Da im Hintergrund dieser Sicht aber immer das rassenbiologische Geschichtsbild der Nazis stand, musste Kästner zwangsläufig für die Neugriechen nur tiefste Verachtung empfinden.

 

So bekennt er nicht nur einmal – sich auf Fallmerayer und Günther beziehend: „Natürlich ist blutsmäßig von den alten Griechen verdammt wenig oder nichts übrig geblieben im heutigen Hellas. Es ist eine Sentimentalität, wenn man das nicht wahrhaben will.“[49] An anderer Stelle bezeichnet er die Griechen der Gegenwart als „Levantiner“ und „Antigriechen, die mit Wasser und Seife nichts zu tun haben“[50]. Er nennt sie „schwarzen Pöbel“[51], „Lemuren“ und „Affengesichter“[52]. Die Kreter sind für ihn Menschen, die nichts dabei finden, permanent „zu stehlen, zu rauben und zu töten“[53]. Nur die Hirten nahm er von solchen Urteilen aus, weil sie in der archaischen Abgeschiedenheit ihrer Berge doch noch etwas vom Blut und der Lebensweise ihrer antiken Vorfahren bewahrt haben könnten.[54] Gipfel seiner zynischen Einstellung gegenüber den Griechen war seine Behauptung, dass sie selbst wegen ihrer Unfähigkeit, ihr Leben zu organisieren, an der großen Hungersnot im Winter 1941/42 schuld gewesen seien. Außerdem machte er für die Katastrophe, die die Folge politischer und militärischer Entscheidungen der Besatzer war, die Schwarzhändler verantwortlich.[55]

 

Auch zum griechischen Widerstand hatte Kästner eine klare Position. es waren für ihn nur „rote Banden“ die da gegen die NS-Okkupanten kämpften. Nach offiziellen Angaben, die auch von der Wehrmacht geteilt wurden, gehörten 95 Prozent der griechischen Bevölkerung zu den Gegnern der Besatzungsmacht, die auf solche Fakten aber nur mit noch größerer Härte reagierte.[56] Dass Kästner später behauptete, seine Liebe zu Griechenland stamme aus dem Kriege, bleibt unverständlich.

 

Kästner selbst hat sein Streben nach dem Guten, Edlen, Wahren und Schönen, so wie es aus der Antike abgeleitet wurde, als einen allgemein verbindlichen klassischen Humanismus verstanden, den er sich auch in sehr schwieriger Zeit bewahren wollte. Seine Bewunderer und Verehrer sehen darin noch heute einen „Versuch, zur Aufrechterhaltung der persönlichen Humanität des einzelnen beizutragen und seine Widerstandshaltung gegen den Zerfall aller Werte im nationalsozialistischen Krieg zu bestärken.“[57] Erhart Kästner also ein Widerstandskämpfer?

 

Der Gedanke ist wohl absurd. Kästner war wie so viele deutsche Soldaten und Offiziere, die als Wehrmachtssoldaten in Griechenland oder anderswo Dienst taten, aus der an der Antike und der deutschen Klassik orientierten Bildungstradition hervorgegangen. Das Humanitätsideal der antiken und der deutschen Klassik war ein hohes Gut. Aber dadurch, dass sehr viele oder sogar die meisten der deutschen Militärs bereit waren, dieses Ideal mit der nationalsozialistischen Rassenideologie zu verbinden, haben sie sich von jeder Humanität und Ethik entbunden und durch ihre Komplizenschaft mit einem verbrecherischen Regime und Teilnahme an seinen Untaten eben auch dieses Humanitätsideal verraten. Das war ihre große Schuld.

 

Literatur

 

Bernal, Martin: Schwarze Athene. Die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike. Wie das klassische Griechenland erfunden wurde, München 1987

 

Fleischer, Hagen: Siegfried in Hellas. Das nationalsozialistische Griechenlandbild und die Behandlung der griechischen Zivilbevölkerung seitens der deutschen Besatzungsbehörden 1941 – 44, in: Kerker, Armin (Hg.): Griechenland – Entfernungen in die Wirklichkeit. Ein Lesebuch, Hamburg 1988

 

ders.: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941 – 44. Okkupation, Widerstand, Kollaboration, Frankfurt/ Main/ New York 1986

 

Gärtringen, Julia Freifrau Hiller von: „Meine Liebe zu Griechenland stammt aus dem Krieg“, Studien zum literarischen Werk Erhart Kästners, Göttingen 1994

 

Günther, Hans F.K.: Rassengeschichte des hellenischen und römischen Volkes, München 1929

 

Jäckel, Eberhard: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, Stuttgart 1981

 

Kästner, Erhart: Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege, Berlin 1943

 

ders.: Griechische Inseln. Aufzeichnungen aus dem Jahre 1944, Frankfurt/ Main 1975

 

ders.: Kreta, Frankfurt/ Main 1991

 

Kadelbach, Ulrich: Schatten ohne Mann. Die deutsche Besetzung Kretas 1941 – 1945, Mähringen 2002

 

Losemann, Volker: Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933 – 1945, Hamburg 1977

 

Müller, Günther/Scheuering, Fritz: Sprung über Kreta. Ein Bild- und Kampfbericht, Oldenburg 1944

 

Picker, Henry: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Berlin 1989

 

Richter, Heinz A.: Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Eroberung – Okkupation – Kollaboration – Widerstand – Exil – Befreiung und Bürgerkrieg, in: Giebeler, Karl; Richter, Heinz; Stupperich, Reinhard: Versöhnung ohne Wahrheit. Deutsche Kriegsverbrechen in Griechenland im Zweiten Weltkrieg, Mannheim 2001

 

Strohmeyer, Arn: Dichter im Waffenrock. Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 – 1945, Mähringen 2006

 

Theodorakis, Mikis: Bach...? Beethoven...? – Leben und Lieder, in: Kerker, Armin (Hg.): Griechenland – Entfernungen in die Wirklichkeit. Ein Lesebuch, Hamburg 1988

 

ders.: Die Wege des Erzengels. Autobiographie 1925 – 1949, Frankfurt/ Main, Leipzig 1995

 

Tzermias, Pavlos: Kreta von Knossos bis Kazantzakis, Mähringen 2003

 

Anmerkungen

 


[1] Müller/Scheuering Seite 24/26, zit. n. Kerker S. 34 f.

[2] Zit. n. Jäckel S. 104

[3] Bernal Seite 13 ff., 641 ff.

[4] Tzermias S. 31

[5] Günther S. 18 ff.

[6] Ebda. S. 36/Tzermias S. 22

[7] von Gärtringen S. 201

[8] Fleischer, in: Kerker S. 26

[9] Günther S.61 f.

[10] Fleischer, in: Kerker S.  26

[11] Picker S. 93

[12] Ebda. S. 85

[13] Ebda. S. 101

[14] Fleischer, in: Kerker S. 26

[15] Picker S. 334

[16] Kulz, Werner: Kurze Rassengeschichte des deutschen Volkes, in: Rolf L. Fahrenkrog (Hg.): Europas Geschichte als Rassenschicksal, Leipzig o. J. [1937] S. 35 f., zit. n. von Gärtringen S. 158

[17] Krieck, Ernst: Unser Verhältnis zu Griechen und Römern in: Volk im Werden, Nr. 1 1933, S. 77 f., zit. n. von Gärtringen S. 158

[18] von Gärtringen S. 158 f.

[19] Rehm S. 11

[20] Ebda. S. 19

[21] von Gärtringen S. 159

[22] Zit. n. ebda. S. 225

[23] Richter S. 13 f.

[24] Zit. n. Fleischer, in: Kerker S. 27 f.

[25] Ebda. S. 29

[26] Ebda. S. 30

[27] Ebda.

[28] Zit. n. von Gärtringen S. 136

[29] Ebda.

[30] Pantel, Hans Henning: Griechenland zwischen Hammer und Amboss, Leipzig 1942, zit. n. von Gärtringen S. 146

[31] Richter S. 21

[32] Losemann S. 159

[33] Theodorakis in: Kerker S. 179

[34] Ebda. S. 182

[35] Müller/Scheuering zit. n. Fleischer a. a. O. S. 34 f.

[36] Kreta-Ballade, in: Veste Kreta, 16.2.1943, S. 3, zit. n. von Gärtringen S. 166

[37] Fleischer a. a. O. S. 40

[38] Ebda. S. 41

[39] Ebda. S. 43

[40] Theodorakis a. a. O. S. 180 f.

[41] Kästner: Griechenland S. 198 f.

[42] Ebda. S. 163, 220

[43] Ebda. S. 271

[44] Ebda. S. 242

[45] Kästner: Kreta S. 110 f.

[46] Kästner: Griechenland S. 9 f.

[47] Kästner: Kreta S. 180

[48] Kästner: private Notiz, zit. n. von Gärtringen S. 210

[49] Kästner: Griechenland S. 254

[50] Brief Kästner an Gerhard Hauptmann vom 22.7.1941, zit. n. von Gärtringen S. 236/Brief an Martin Raschke ebda.

[51] Kästner, Griechische Inseln S. 206

[52] Kästner: Griechenland S. 84 f.

[53] Kästner: Kreta S. 228

[54] Kästner: Griechenland S. 184 ff.

[55] Ebda. S. 254

[56] Fleischer in: Kerker S. 37

[57] von Gärtringen S. 250