Wie die Gier nach Profit eine kretische Urlandschaft zerstören will
Ein Hedgefonds plant in Lentas (Südkreta) mit Unterstützung des griechischen Staates ein riesiges Touristenzentrum – mit unabsehbaren sozialen und ökologischen Folgen für die Region
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte es schon im Wahlkampf im Frühsommer 2019 und später im Amt des Regierungschefs angekündigt, wie er das Land sanieren will: mit den neoliberalen Rezepten Steuersenkungen, Privatisierungen und der Hilfe von Investoren. Aber wo auf der Welt haben diese Rezepte funktioniert? Wo haben sie die Arbeitslosigkeit beseitigt und Wohlstand für alle geschaffen? Zwar hat die Liberalisierung der Wirtschaft in verschiedenen Ländern Fortschritte bei der Steigerung des Bruttosozialprodukts erzielt, aber Armut, Not und Elend der Vielen sind deshalb nicht zurückgegangen, der Reichtum der herrschenden kapitalistischen Oligarchen ist dagegen zu immensen Größen angewachsen.
Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne, ist eine alte Volksweisheit. Aber dass die griechische Regierung bereit ist, durch ein gigantisches und irrsinnig anmutendes Tourismuskonzept eine einzigartige und noch so gut wie unberührte Küstenlandschaft zu zerstören samt der sozialen und kulturellen Identität der hier lebenden Menschen, die eng mit dieser Landschaft verbunden ist – ja, dass die Regierung bereit ist, sehenden Auges eine ökologische Katastrophe anzurichten, das zu verstehen fällt schwer, lässt sich – um mit Immanuel Kant zu sprechen – mit den Kategorien des Verstandes nicht begreifen.
Es geht um ein Projekt an den Ausläufern des Asterousa-Gebirges auf Kreta. Dieser Bergzug zieht sich von Matala an der Südküste zwischen der Messara-Ebene und dem Libyschen Meer fast vierzig Kilometer bis zur Hafenstadt Ierapetra im Osten der Insel hin. Zur See hin bildet diese majestätische Bergwelt eine schroffe, kluftige Steilküste von großer Schönheit, die immer wieder unterbrochen wird von kleinen in Hügeln gebettete Einschnitte mit herrlichen Stränden.
In einer dieser Buchten liegt im Schatten eines löwengestaltigen Bergriesen, der sich weit in das Libysche Meer erstreckt, das kleine Dorf Lentas. In der Antike war es ein berühmter und viel aufgesuchter Heilort des Gottes Asklepios. Die Kranken suchten hier Linderung ihrer Leiden in einem Mysterienkult: Im Heilschlaf erschien ihnen der Gott, heilte selbst oder gab ihnen Anweisungen, was gegen die Gebrechen und Beschwerden zu tun sei. Über 1000 Jahre bestand diese Therapie-Stätte, bis die Christen in der Spätantike sie in ihrem fanatischen Eifer gegen alles „Heidnische“ zerstörten. Lentas fiel dann in einen tiefen Dornröschen-Schlaf, um erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder daraus zu erwachen, als der Tourismus für die hier lebenden eher armen Bauern und Fischer der kargen Gegend ein besseres Auskommen versprach.
Aber Lentas und sein Nachbarort Dytikos wurden kein Saint Tropez oder Biarritz, die beengte Lage zwischen Bergen und Meer machte eine monströse Hotelbebauung wie an der flachen kretischen Nordküste unmöglich. Lentas blieb lange ein Geheimtipp für Inselliebhaber, Individualisten und romantische Schwärmer, erst in den letzten Jahren hat ein größeres Publikum den Ort und seine Strände entdeckt, aber es herrscht immer noch ein „sanfter“ Tourismus vor. Lentas ist immer noch eine liebenswerte Idylle, in der jeder jeden kennt, in der man seit vielen Jahren „seine“ Taverne und „seine“ Unterkunft samt den liebenswerten kretischen Wirtsleuten hat. Und vor allem: Einfachheit (und nicht Luxus) ist hier Trumpf. Es herrscht eben noch ein menschliches Maß. Lentas hat, das spürt jeder der hierher kommt, eine ganz eigene „heilsame“ Atmosphäre.
In diese Idylle platzte nun wie eine Bombe eine kurze Meldung der Agentur ENTERPRISE GREECE, die dem griechischen Außenministerium untersteht und die Aufgabe hat, Investitionen in Griechenland zu fördern und „das Land zu einem attraktiven internationalen Handelspartner zu machen.“ In der Meldung heißt es: „Das [geplante] Investment-Projekt bezieht sich auf den Bau eines integrierten Touristen-Komplexes, der ein Hotel mit 317 Räumen (1155 Betten, ein Konferenz-Zentrum, Wellnessangeboten und Luxussuiten) umfasst – insgesamt auf 54 000 Quadratmetern. Das Projekt ist in Lentas im Bezirk Gortin, Region Heraklion Kreta angesiedelt.“
Ausführendes Unternehmen soll offenbar die griechische Investment-Firma ATESE SA (Engeneering Commercial Consulting Corporation – Private Security Services Company) sein, die auf vielen Gebieten tätig ist, u. a. auch im Sicherheits- und Rüstungssektor. Aufschlussreich ist, dass man die Einwohner von Lentas bisher nicht einmal offiziell über das Projekt unterrichtet hat. Sie wären bei der Realisierung des Vorhabens die eigentlich Leidtragenden, denn das neue Riesenunternehmen würde dann die Regeln diktieren, wie Tourismus in Lentas und Umgegend zu funktionieren hat. Natürlich wird man den Menschen viel versprechen: Fortschritt in Form von moderner Infrastruktur, Arbeitsplätzen und Wohlstand. Und man wird viel von Ökologie erzählen, Naturschutz, Wanderwegen und und … Am Ende wird für die Einheimischen nicht viel übrigbleiben, denn das Investment-Unternehmen wird ein Eigenversorger sein und will vor allem eins: Profit machen!
Das Ergebnis wird aber vor allem sein: die Zerstörung einer einzigartigen Urlandschaft, die eigentlich unter das Weltkulturerbe der UNO gestellt werden und für immer vor Verwüstung geschützt werden müsste. Auf den Kanarischen Inseln hat man kürzlich verboten, Steinmännchen zu bauen und hat die bestehenden abgerissen, weil unter den dafür verwendeten Steinen allerhand Getier seinen Lebensraum hat. Wir rührend angesichts dessen, was man in Lentas vorhat! Lentas ist am Ende der Antike schon einmal zerstört worden, und nun wird der Ort mit seiner grandiosen Landschaft um ihn herum , wenn denn aus den Plänen Realität wird, den endgültigen Todesstoß bekommen – durch ein gigantisches Projekt, das ausschließlich Profitinteressen dient, aber gegen alle Vernunft ist!
Ich habe im Jahr 2000 ein kleines Buch über „Lentas – das Dorf am Libyschen Meer“ herausgebracht, das eine einzige Liebeserklärung an diese Landschaft, den Ort und seine Menschen ist. Aber ich habe damals schon meinen Befürchtungen Ausdruck gegeben, dass es mit dieser Schönheit bald vorbei sein könnte. Schon damals hatten Landschaftsplaner (!), internationale Tourismus-Konzerne, Architekten und griechische Regierungsvertreter Pläne entwickelt, Kretas wilden und noch unberührten Süden stärker für den Tourismus zu erschließen.
Ich schrieb damals: „Was haben ‚Landschaftsplaner‘ an den Küsten einer der letzten grandiosen Naturlandschaften Europas zu suchen? Aber sie werden kommen mit ihren großen Erdbeweger-Maschinen, die Küste nach ihrem Bilde formen und Disney-Parks daraufsetzen, die alle Bedürfnisse der modernen Freizeit-Barbaren erfüllen. Die Griechen werden ihre Seelen [hoffentlich nicht] verkaufen – bezahlte Dienstleistungen ihre uralte Gastfreundschaft ersetzen.“
Diese Sätze habe ich vor zwanzig Jahren geschrieben. Ich hoffe, dass ich Unrecht habe und meine Prophezeiung nicht in Erfüllung geht!
2.11.2019