Kretas Dörfer – besonders die Bergdörfer waren einst sehr arm. Die Menschen besaßen kaum das zum Leben Notwenige. Die karge Felsenlandschaft gab landwirtschaftlich nicht viel her, Schafe und Ziegen waren oft der einzige Reichtum. Die Türken, die die Insel Jahrhunderte lang beherrschten, pressten aus den Kretern obendrein das Letzte heraus. Armut als Lebensschicksal.
Die deutsche Abenteuerin Elpis Melena (1818 – 1899), die im 19. Jahrhundert – also noch in der Türken-Zeit – auf Kreta lebte, erzählt in ihren Erinnerungen von einer Reise, die sie mit Freunden von Chania aus in den Osten der Insel unternahm. Die kleine Reisegesellschaft, die mit Pferden unterwegs war, hoffte, sich in den Dörfern mit Lebensmitteln versorgen zu können. Aber es gab nichts – nicht einmal für gutes Geld – bestenfalls ein paar Feigen und Hühnereier. Nur in den besser gestellten Klöstern konnte man auf eine Mahlzeit und eine Übernachtungsmöglichkeit hoffen.
Die Menschen konnten also nicht einfach, was heute ganz selbstverständlich ist, in die Bäckerei oder den Dorfladen gehen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Es gab weder den Laden noch die Bäckerei – es herrschte das Prinzip der Selbstversorgung. Jeder musste sehen, wie er zurechtkam. Mit einer Ausnahme: Man sorgte gemeinsam für das tägliche Brot.
Und das funktionierte so: In so gut wie in jedem Dorf gab es einen großen Gemeinschaftsofen - zumeist mit einem schützenden Dach davor, damit die Dorfgemeinschaft unabhängig vom Wetter sich dort zu der großen Zeremonie des Brotbackens versammeln konnte. Das Mehl brachten die Bewohner mit oder es wurde gegen geringe Bezahlung vom Dorf besorgt. Dann bereiteten die Frauen in Holzkübeln den Teich zu, ließen ihn aufgehen, formten die Brotlaibe und die Männer platzierten sie auf Holzschiebern in dem schon vor Stunden angeheizten und jetzt glühend heißen Ofen.
Obwohl das Ritual schon viele Male durchgeführt wurde, und alle es genau kennen, liegt immer eine spannungsgeladene Erwartung über der kleinen Gemeinschaft vor dem Ofen, die nun die Zeit bis zum Aufmachen des Ofens für ein Schwätzchen und den Austausch der letzten Neuigkeiten nutzt. Die Blicke richten sich aber immer wieder in Richtung auf die große gusseiserne, verschlossene Ofentür, als würde sich gleich beim Öffnen der Tür ein Wunder ereignen.
Endlich ist es so weit, die Männer lösen die schwere Verankerung der Ofentür und öffnen sie. Ein wunderbarer Brotgeruch strömt heraus. Die Männer greifen zu den langen hölzernen Schiebern und ziehen die hellbraunen Brotlaibe heraus, die die Frauen zugleich mit Tüchern abdecken und an der Seite auf Tischen und Regalen abstellen. Jetzt beginnt die eigentliche Zeremonie. Der Pope segnet die Brote. Die Frauen schneiden die ersten noch warmen Scheiben ab, bestreichen sie mit Schweineschmalz, streuen mit der Hand ordentliche Salz darauf und verteilen die Schnitten dann an die neugierig Wartenden.
Nach getaner Arbeit versammelt sich die ganze Dorfgemeinschaft im zentralen Haus der Ortschaft, sitzt beisammen, plaudert und genießt kleine leckeren Köstlichkeiten, die die Frauen vorbereitet haben: Dolmades, Feta, Tzaziki, Oliven, Tiropitas und und… Dazu gibt es Wein und Raki, so viel Herz und Magen begehren. (Man kann natürlich auch einfach nur einen Kaffee bekommen.) Es wird viel erzählt und gelacht – das Brotbacken ist der Anlass, wieder einmal zusammenzukommen, sich des Zusammenhaltes und der Identität der Gemeinschaft zu versichern. Eine zauberhafte Zeremonie!
Gibt es sie auf Kreta noch, wo doch heute jedes Dorf seine Bäckerei und seinen Supermarkt hat? Der Initiator der Aktion, Costas Manidakis, hat es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, sein arg durch Erdbeben und Abwanderung zerstörtes Bergdorf Miamou (bei Mires) wiederaufzubauen und eine neue funktionierende Dorfgemeinschaft ins Leben zu rufen. Deshalb hat er neben einem Gemeinschaftshaus als erstes einen großen Ofen mit Vorhalle zum Brotbacken errichtet.
Und die Leute haben seine Initiative mit Begeisterung angenommen, mehrmals im Jahr wird in Miamou wieder Brot gebacken und jedes Mal ist es ein großes Fest! Ich schätze mich glücklich, mehrmals dabei gewesen zu sein. Das Brotbackenfest gehört zu meinen eindrucksvollsten Erlebnissen auf der großen Insel!