Eine Frage an den Bremer Senat

Betr.: Betroffenheit und Trauer nach dem Mordanschlag auf die Synagoge in Halle / Warum hängt an dem Haus Am Wall 199 noch keine mahnende Tafel?

Hitlers Erben können nicht nur Demokratie-geschützt ihre Hetz-Propaganda betreiben, nun schießen und bomben sie auch – siehe den Anschlag in Halle. Die Empörung und das Entsetzen sind mit Recht groß, aber man fragt sich: War das nicht vorauszusehen, wenn sich der öffentliche Diskurs durch das Auftreten der AfD und ihre inzwischen vollzogene Salonfähigkeit so weit nach rechts verschoben hat? Wenn ein führender Funktionär dieser Partei (Gauland) den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnen und wenn ein anderer Spitzenfunktionär (Höcke) das Holocaustmahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ titulieren und einem Fernsehjournalisten, der ihm kritische Fragen stellt, drohen kann: Wenn wir erst mal in einflussreichen Positionen sind, dann… Wenn diese Leute öffentlich schon so reden, was mögen sie dann erst im stillen Kämmerlein äußern und planen, wenn sie unter sich sind?

Halle war sicher nicht die Tat eines „Einzeltäters“, wie es staatlicherseits gern dargestellt wird, Pegida, NSU und die AfD haben schon lange den geistigen Nährboden für eine solche Tat bereitet, obwohl man in diesem Zusammenhang von „Geist“ ja eigentlich nicht sprechen kann, das Wort „Ungeist“ passt da viel besser. Und der Staat und seine Behörden, die bei linker Gewalt immer so schnell zuschlagen und von „Terrorismus“ sprechen, haben den rechten Terror viel zu lange ignoriert. Zudem: Der rechte Terror kommt ja nicht vom Mars zu uns, er ist das Produkt dieser Gesellschaft und einer ganz offensichtlich in vieler Hinsicht verfehlten Politik. Die ganze Betroffenheit nach Halle wird nichts nutzen, wenn man nicht die Gründe für dieses eigene politische Versagen ermittelt und eine andere Politik umsetzt.

Ich lebe in der Hansestadt Bremen, die ja bekanntlich ein Bundesland ist. Auch dort war die Betroffenheit nach Halle natürlich groß, zumal es dort gerade antisemitische Schmierereien am Haus der jüdischen Gemeinde gegeben hat. Der Bürgermeister eilte dorthin, versicherte den Juden die Solidarität der Stadt und versprach, mehr für ihre Sicherheit zu tun. Bei all dieser offiziellen Betroffenheit stellt der Verfasser dieser Zeilen eine Frage an die politisch Verantwortlichen der Stadt, die die Bremer Geschichte und ganz besonders ihre Beziehungen zu den Juden betrifft und plötzlich angesichts des Anschlags von Halle neue und höchste Aktualität gewinnt.

Um diese Frage darzustellen, muss man in die Zeit des Nationalsozialismus in Bremen zurückgehen. Es gab damals dort einen Gestapo-Beamten namens Bruno Nette (1887 – 1960), der vom November 1941 bis zum April 1945 das Amt des „Judenreferenten“ beim Bremer Senat ausübte. Dieser Mann organisierte die Deportationen von Juden aus Bremen und dem Regierungsbezirk Stade nach Minsk und Riga, die dort fast alle umgebracht wurden. Er war direkt an der Verfolgung und Ermordung von über 800 Menschen beteiligt.

Sein Enkel Bernhard Nette, der in Hamburg lebt, hat das Leben seines Großvaters bis ins Detail erforscht und das Ergebnis seiner Recherchen in dem Buch Vergesst ja Nette nicht! Der Bremer Polizist und Judenreferent Bruno Nette (VSA-Verlag Hamburg 2017) veröffentlicht. Danach ging Bruno Nette auch gegen Menschen vor, die in einer „privilegierten Mischehe“ lebten. Außerdem wollte er „Arier“ zur Scheidung von ihren Ehepartnern zwingen. Seine Lust an der Verfolgung von „Rassenschande“ wird als geradezu „pornographisch“ bezeichnet. Das Bremer Judenreferat, in dem er arbeitete, verbrannte noch im März 1945 alle Akten, dennoch gab es genug Zeugen, die Bruno Nette nach dem Krieg schwer belasteten. Er kam aber so gut wie straffrei davon – er stellte sich vor Gericht als „korrekten“ Beamten dar, der nur Anweisungen durchgeführt hatte. Anfangs wurde er als „Belasteter“ eingestuft, später nur als „Mitläufer“, was ihm den Erhalt der Rente sicherte.

Das Bremer Judenreferat befand sich in dem Haus Am Wall 199, das heute noch steht. Der Enkel und Biograf dieses NS-Täters hat schon vor Jahren vorgeschlagen, an diesem Gebäude mit der furchtbaren Vergangenheit eine Mahntafel anzubringen, die darauf hinweist, dass von hier aus Befehle ausgingen, die so vielen Menschen zum Verhängnis wurden. Der Bremer Senat und seine Behörden sind bis heute nicht auf diesen Vorschlag eingegangen. Der Anschlag in Halle ist ein geeigneter Anlass, nicht nur offizielle Betroffenheit zu zeigen, sondern auch gelebte Verantwortung vor der Geschichte zu demonstrieren und deshalb mit einer Tafel am ehemaligen Gestapo-Haus an dieses schlimme Kapitel der Bremer Vergangenheit zu erinnern. Der Buchtitel des Enkels von Bruno Nette gilt und mahnt weiter: Vergesst ja Nette nicht!

 

Ich habe dann den Pressesprecher des Bremer Senats um Auskunft in dieser Sache gebeten. Er schrieb mir zurück:

Lieber Herr Strohmeyer, ich habe mich in der Sache kundig gemacht und kann Ihnen jetzt den aktuellen Stand mitteilen. Richtig ist, das Bernhard Nette mit seinem Wunsch gescheitert ist, eine Gedenktafel am Haus Am Wall 199 anzubringen – der Eigentümer wollte es nach Auskunft der Landeszentrale für politische Bildung einfach nicht. Darauf hat sich der Verein „Erinnern für die Zukunft e.V.“ an den Innensenator mit der Bitte gewandt, sich für die Sache einzusetzen. Dies hat er auch getan, wenn auch als Privatperson. Über den aktuellen Stand kann ich leider nichts sagen, weil Herr Mäurer im Urlaub ist. Abschließend möchte ich noch mal betonen, dass der Senat keinesfalls untätig gewesen ist in den vergangenen Monaten. Wenn es auch leider noch kein Ergebnis gibt.Ich hoffe, diese Informationen helfen Ihnen weiter.

Mit kollegialem Gruß

Christian Dohle