Sie waren junge Mädchen beim großen Hippie-Treff in Matala um 1970 und haben das freie Leben in dem Dorf am Libyschen Meer in vollen Zügen genossen. Sie haben in den Höhlen im Felsen am Rande der Bucht gewohnt und fanden – der Zivilisation mit ihrem Komfort entronnen – das einfache und primitive Leben dort herrlich und faszinierend. Waren sie Hippies, Traveller oder einfach nur Abenteuer suchende Weltreisende? Die Frage interessiert sie nicht. Sie waren dort einfach jung und glücklich.
Matala war das große Event ihrer Jugend, das Dorf ist ihr nostalgischer Sehnsuchtsort geblieben. Jetzt nach fast 60 Jahren sind sie wieder einmal dorthin zurückgekehrt, um der Traumzeit ihrer Jugend noch einmal ganz nahe zu sein: Pam Bailey aus Sydney (Australien) und Lizzie Stonehill aus London. Sie haben sich damals in Matala kennengelernt und die Freundschaft hat ein Leben lang gehalten.
Sie wohnen jetzt wieder wie damals in einer Höhle – aber sehr viel komfortabler und luxuriöser als damals zur Hippie-Zeit. Denn auf der den alten Höhlen gegenüberliegenden Seite der Bucht sind tief in den Felsen inzwischen Appartements hineingebaut worden, die jeden Wunsch nach Relaxen und Wellness erfüllen. Von ihrer Terrasse aus haben sie den Blick über Strand und Meer zu ihren alten Behausungen, in denen sie einst wohnten und diese Herberge mit allerlei Ungeziefer teilen mussten.
Pam erzählt, wie sie damals nach Matala gekommen ist. Sie war mit ihrer Schwester Shirley zusammen auf einem Tripp um die Welt. Beide wussten wohl gar nichts über das Hippie-Dorf im Süden Kretas. Als aber der Hotelier, bei dem sie in Heraklion wohnten, sie warnte: „Geht bloß nicht nach Matala, denn da gibt es nur Sex und Drogen!“, wurden sie neugierig und nahmen am nächsten Morgen den ersten Bus nach Matala. Das war die Zeit, als Kirchenvertreter und die Lehrer in den Schulen ringsum den jungen Kretern verbaten, sich dem „Sündenpfuhl“ Matala überhaupt zu nähern, als hätte der Teufel selbst dort Quartier bezogen.
Das Leben in den Höhlen, am Strand und im Dorf war aber gar nicht so aufregend, wie es draußen erzählt wurde, berichten die Beiden. Auch dort hatte der Alltag seine Routine. Das Leben spielte sich hauptsächlich am Meer mit Schwimmen und Sonnenbaden ab, abends wurde dort am Strand gekocht oder gegrillt – meistens Fisch. Und dann feierte man eine Party oder ging ins „Mairmaid“, das legendäre Hippie-Café. Musik war immer dabei, irgendjemand griff immer zur Gitarre und sang auch dazu – tagsüber am Strand, in den Höhlen oder abends in den Tavernen. Jonny Mitschells Auftritte im „Mermaid“ wurden berühmt, und ihr Matala-Song „Carey“ ging um die Welt.
Und Drogen? Natürlich wurde „Gras“ (Haschisch) geraucht. Hippies, die aus Afghanistan zurückgekommen waren, brachten den „Stoff“ mit. Einige Leute saßen herum und waren „high“, aber das machte sie nur entspannt und glücklich. Ein Problem mit Drogen, wie später behauptet wurde, hat es nicht gegeben, versichern die Beiden. Sie hielten sich im „Mermaid-Café“ an Wein und Ouzo und waren damit auch glücklich.
Und die Nächte in den Höhlen? Nach der Ankunft in Matala, erzählen sie, musste man erstmal mit einer Höhle in den oberen „Stockwerken“ vorliebnehmen, denn meistens konnte man nur in den oben gelegenen Höhlen noch einen Platz ergattern, aber die waren klein, niedrig und unbequem, weil man nicht darin stehen konnte. Wenn aber unten eine der größeren Höhlen frei wurde, zog man ein paar „Stockwerke“ tiefer – am besten ins „Hilton“. So nannten die Hippies die große, geräumige Höhle mit mehreren Zimmern und vorgelagerter Terrasse mit schönem Ausblick auf das Meer und das Dorf. Aber dennoch: Das Schlafen auf dem harten Steinboden war ein bisschen qualvoll. Außerdem war es auch im Sommer nachts in den Höhlen sehr heiß, also wichen die Beiden lieber zum Strand aus und schliefen dort.
Zu den Einheimischen gab es nicht so viele Kontakte. Aber Freundschaft schlossen sie wie alle Matala-Reisende mit Mama Zouridakis in der Bäckerei, die immer freundlich und hilfsbereit war. Und Georgios den Fischer kannten sie natürlich auch, der sich eng an die Gemeinde der Höhlenbewohner anschloss und zum großen Ärger seines Vaters den Hippies immer ein paar Fische von seinem Fang abgab. Georgios hat später immer stolz erzählt, die Hippie-Zeit in Matala wäre seine „Universität“ gewesen. Gedränge gab es oft an Wochenenden, wenn Scharen von Touristen anrückten, um die Hippies wie Zootiere in ihren Höhlen anzustaunen. Aber Pam und Lizzie machten gute Miene zum lästigen Spiel und boten den Besuchern Tee und Kekse an und kamen so mit ihnen ins Gespräch.
Und Matala heute? Der Ort, den sie noch als kleines Fischerdorf erlebt haben, ist natürlich nicht wiederzuerkennen mit seinen vielen Neubauten, Geschäften, Tavernen und den Massen von Touristen, die hier relaxen und sich amüsieren wollen. Aber trotz des bunten Trubels dort hat der Ort für Pam und Lizzie nichts von seiner magischen Anziehungskraft verloren. Und deshalb sind sie wiederkommen, um die Faszination und Magie ihrer Jugendtage hier noch einmal zu erleben. Und Pam hat drei ihrer Töchter aus Sydney mitgebracht. Sie sollen sehen, wo ihre Mutter einst glücklich in den Höhlen unter den Blumenkindern gelebt hat. Und Lizzie hat ihrer Tochter so viel von ihrer großen Zeit in Matala erzählt, dass diese einen Roman geschrieben hat, der im Dorf zur Hippie-Zeit spielt.
(Der Autor des Artikels, der deutsche Journalist Arn Strohmeyer, hat 1967 selbst in den Höhlen von Matala gelebt. Er hatte 2010 die Idee, in Matala ein Festival zu veranstalten, das dann 2011 auch zum ersten Mal stattfand und danach in jedem Jahr.)