Liebe Freunde,
ich komme heute an diesem 80. Gedenktag an das Massaker, das deutsche Soldaten hier angerichtet haben, als ein Deutscher, der, als diese Mordtat geschah, ein Jahr alt war. Es war die Generation meiner Väter, die Hitler und den Faschismus an die Macht gebracht hat und dadurch die Mega-Verbrechen möglich gemacht hat: den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust und die Zerstörung Europas. Die Faschisten und ihre Helfer haben unendliches Leid über die Völker des alten Kontinents gebracht. Sie – die Menschen Ihres Ortes – haben den „Holocaust von Viannos“ erdulden müssen.
Es waren deutsche Soldaten aus dem Volk, dem ich angehöre, die hier unschuldige Menschen – Männer, Frauen und Kinder – ermordet haben. Wenn Sie heute am 14. September des schrecklichen Tages vor 80 Jahren gedenken, den die grausame Mordmaschinerie der Nazis über Sie gebracht hat, dann möchte ich als ein Angehöriger desselben Volkes wie diese Mörder-Soldaten klar und deutlich sagen: Ich schäme mich zutiefst für die Taten dieser grausamen Täter. Ich schäme mich auch dafür, dass die Mörder von Viannos und von anderen Massakern nach dem Krieg in Deutschland nicht für ihre Verbrechen bestraft wurden, sondern noch Orden für Ihre Untaten bekommen haben und als freie Männer ihr blutbeflecktes Leben fortsetzen konnten. Das ist eine Schande! Und es ist auch eine Schande, dass die deutschen Regierungen für das, was deutsche Mörder-Soldaten in Viannos, in Kommeno, Lingiades, Distomo und an anderen Orten des Schreckens verbrochen haben, keine Entschädigungen gezahlt haben!
Ich kann Sie – die Angehörigen, Verwandten und Nachfahren der Ermordeten – auch nicht um Vergebung und Verzeihung bitten, denn Taten wie diese kann man nicht vergeben und verzeihen. Sie bleiben für Sie ein schreckliches Trauma und für uns Deutsche bleiben sie für immer ein Schandfleck in der deutschen Geschichte. Das Leid und die Schmerzen, die Nazi-Soldaten hier angerichtet haben, schmerzen heute noch so wie damals. Ich kann das sehr gut nachfühlen.
Ich bin nicht in offizieller Funktion hier, ich bin kein Politiker, ich kann nicht für mein Land sprechen, ich bin als Privatmann hier, als ein Journalist und Schriftsteller, der aus Liebe zu Ihrem Land und zu dieser Insel schon seit Jahrzehnten hierherkommt. Und zu den größten und schönsten Erfahrungen, die ich hier bei Ihnen gemacht habe, gehört, dass die Menschen mir als Deutschem hier auf Ihrer Insel und auf dem Festland nie Vorwürfe gemacht haben für die Untaten der Nazis. Nie hat man mich hier mit den Verbrechen der Nazis in Zusammenhang gebracht und versucht, mir Schuld aufzuladen. Im Gegenteil: Ich habe hier sehr viel Freundlichkeit, ja viel Zuwendung, Freundschaft und sogar Liebe erfahren. Das ist wahre Menschlichkeit. Dafür bin ich sehr dankbar.
Lassen Sie uns in diesem Sinne weiter zusammenleben und arbeiten, damit so etwas, wie es in Viannos und anderswo geschehen ist, niemals mehr passieren darf! Lassen Sie uns gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen. Für eine Zukunft ohne Gewalt und Krieg! Ich danke Ihnen, dass ich hier sprechen durfte.