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Besuch auf der Hölleninsel

Wo Mandela 18 Jahre eingesperrt war

Februar 28, 2023

Robben Island könnte eigentlich eine paradiesische Insel sein – ein kleiner Garten Eden vor der riesigen südafrikanischen Metropole Kapstadt. Wenn man sich mit dem Schiff der Insel nähert, sieht man viel Grün und nach Süd-Westen hin die roten Dächer eines putzigen kleinen Dorfes. Ein beschaulicher Anblick. Und wie der Name sagt, soll es auf der Insel sogar Robben geben. Aber die Idylle täuscht. Auf einer langen weißen Mauer an der Hafeneinfahrt sitzen aufgereiht wie Geier, die auf Opfer warten, große schwarze Vögel und schauen drohend auf die Ankommenden herab. Ein Symbol für den Schrecken, der hier so lange geherrscht hat.

Das alte Eingangstor zur Gefängnisinsel steht noch und erinnert an ähnliche Tore, die in die Todeslager der Nazis führten. Wenn über dem Portal von Auschwitz der zynisch-barbarische Spruch „Arbeit macht frei“ steht, dann haben die weißen Herrscher des Apartheidstaates, die große Bewunderer Hitlers waren, für den Zugang von Robben Island die nicht weniger zynische Parole „Willkommen. Wir dienen mit Stolz“ ausgewählt. Natürlich wollte niemand in der Hölle von Robben Island „dienen“ und das offene Zeigen von“ Stolz“ wäre sicher als Widerstand gedeutet worden und wäre tödlich gewesen.   

Auf dieser Insel wurden nicht wie in den NS-Lagern Menschen systematisch und fabrikmäßig physisch vernichtet, aber die Häftlinge, die das Martyrium hier überlebt haben, berichten übereinstimmend: Man wollte uns psychisch vernichten, uns als Menschen brechen, uns die Würde als humane Wesen nehmen. Um das zu erreichen, war den Schergen des Apartheid-Systems jedes noch so grausame Mittel recht.

Auf die Außenseiten der Busse, die am Hafen stehen und auf die Ankommenden warten, um ihnen die Orte des Grauens zu zeigen, sind Fotos des Leidens und der Passion der hier Gequälten projiziert – Arbeitssklaven, Elendsgestalten, die hier ihr Leben fristen mussten, das man Leben und menschliche Existenz nicht nennen konnte. Opfer eines Systems, das sich wie andere im 20. Jahrhundert anmaßte, nach ihrem ideologischen Gusto über Leben und Tod von Menschen zu entscheiden. 

Eine schwarze Guide steigt in den Bus und begrüßt uns mit einem lauten Hallo. Dann leiert sie wie ein Sprechautomat – ohne jede Emotion und ohne jede Pause – alles herunter, was die Besucher über Robben Island wissen sollen. Das Meiste weiß man schon. Dann fährt der Bus vorbei an Mauern, Stacheldrahtverhauen, Wachtürmen, einem Friedhof und dem Steinbruch, in dem die Gefangenen – auch Mandela – arbeiten mussten.

Als wir den Gefängniskomplex erreichen, verabschiedet sich die „Fremdenführerin“ von der Gruppe im Bus und ein schwarzer Guide nimmt uns in Empfang. Er spricht langsam, bildhaft, ausführlich und sehr einfühlsam. Er zeigt uns die langgestreckten Zellen, in denen jeweils etwa 20 Häftlinge eingesperrt waren. Auf dem Boden eine harte Bastmatte für den Schlaf, an der Wand darüber ein offener Holzkasten für ein paar persönliche Gegenstände. Das war der ganze „Besitz“ – sieht man von der Sträflingskleidung ab – der hier Internierten.  

In einem Raum steht ein Holzgestell mit leiterähnlichen Sprossen, dessen Seitenleisten nach oben spitz zulaufen. Eine Folterbank, wie man sie ähnlich auch im Mittelalter benutzt hat, auf der die Häftlinge festgebunden wurden, um gequält zu werden: mit Tritten, Schlägen, Peitschenhieben und Schlimmerem. Alle Arten der Folter waren möglich. Wie zum Hohn war in Rückenhöhe ein kleines Kissen angebracht, damit die Geschundenen nicht auf dem harten Holz liegen sollten, sondern es bei ihren Qualen ein bisschen bequemer haben sollten!   

Am Ausgang wartet der Guide auf uns und erzählt seine Geschichte. Er war selbst im Widerstand gegen den Apartheidstaat, war bei dem Aufstand im Township Soweto dabei, wurde verhaftet, konnte entkommen, floh nach Angola, kämpfte dort mit der Befreiungsbewegung MPLA gegen die vom Westen unterstützten Partisanen der UNITA von Jonas Savimbi, verließ das Land, kehrte nach Südafrika zurück, wurde erneut verhaftet und landete im Kerker von Robben Island, dessen Zellen er uns gerade zeigt. Jede Guide-Tour muss für den Mann eine furchtbare Reise in die eigene Vergangenheit sein, aber er wirkt selbstbewusst und entspannt, als habe er die eigene Leidenszeit souverän verarbeitet.

Dann führt er uns durch verschlungene Gänge in einen großen Hof. Es gibt alte Fotos, die zeigen, wie die Gefangenen hier aufgereiht vor Steinblöcken saßen und diese kleinklopfen mussten. Wofür diese Arbeit gut war und welchen Sinn sie hatte, wusste vermutlich niemand. Aber Arbeit macht in der Sicht solcher Regime bekanntlich „frei“, und so mussten die Gefangenen hier eben Steine klopfen. Über einem Mauerwerk aus braun-blauen Natursteinen sieht man kleine mit dicken Eisenstäben vergitterte Zellenfenster. Flucht war hier unmöglich, selbst wenn es jemandem gelungen wäre, die Eisengitter zu entfernen. Durch die winzigen Fensterlöcher hätte sich ein Mensch nicht hindurchzwängen können. Und außerdem wären da draußen noch die hohen Mauern des Hofes gewesen.

Der Guide zeigt auf das dritte Fenster von links in der Reihe. In dieser Zelle hat Südafrikas berühmtester Gefangener von 1964 bis 1982 gesessen: Nelson Mandela. Wir steigen in den Flur hinauf. Von einem langen schmalen Gang gehen die Zellen ab, die Türen stehen offen und gewähren den Blick ins Innere. Zweieinhalb Meter mal zweieinhalb Meter mussten für ein Jahrzehnte langes „Leben“ hier ausreichen. Ich blicke in Mandelas Zelle. Ein Hocker, ein Eimer für die Notdurft und eine Bastmatte mit zwei Decken darauf für die Nacht auf dem kalten Steinboden.

Wie kann man eine solche räumliche Folter (auch mit Räumen kann man foltern!) über eine so lange Zeit überstehen, ohne seelisch zu zerbrechen? Und dann diese Zelle nach all den Folterjahren ohne Rachegedanken verlassen und mit einem strahlend-optimistischen, gelösten Lächeln vor die Welt treten, um Freiheit, Frieden und Versöhnung zu stiften? Meine Bewunderung für Nelson Mandela ist grenzenlos.

Vom Schiff aus werfe ich einen letzten Blick auf die Hölleninsel. Die schwarzen Vögel sitzen noch bedrohlich blickend auf der weißen Mauer. Das kleine Dorf mit den roten Dächern liegt friedlich da. Vermutlich haben in dieser Idylle die brutalen Aufseher und Folterschergen sorglos und glücklich mit ihren Familien gewohnt. Robben Island ist eins der unzähligen Beispiele dafür, dass der Mensch seinem Mitmenschen gegenüber ein Wolf sein kann.

PS.

Die Erben des Vermächtnisses von Nelson Mandela – die Führer des ANC – haben das Erbe dieses charismatischen Führers äußerst schlecht verwaltet. Korruption und Selbstbereicherung machen die Regierungszeit dieser Elite aus, die aus einer nationalen Befreiungsbewegung hervorgegangen ist und eigentlich vorrangig die Interessen des Landes (und nicht die persönlichen) im Blick haben sollte. Ich habe auf meiner Fahrt durch das Land überall am Rande der Städte die Townships gesehen, Konglomerate des Elends: Hütten aus Wellblech, Brettern, Pappe und Plastiktüten – ohne Wasseranschluss, draußen ein Dixie-Klo für die Notdurft. Die These der kanadischen Wirtschaftswissenschaftlerin Naomi Klein scheint zu stimmen: Der Kapitalismus macht bestimmte Menschengruppen überflüssig, er braucht sie weder für die Produktion noch für den Konsum. Überflüssige Menschen eben, die man in Townships, Favelas wie in Brasilen oder besetzten Gebieten wie in Palästina abschieben und dort ihrem Schicksal überlassen kann.

Aber wird das gutgehen? Werden diese Elenden und Vergessenen sich nicht eines Tages gegen ihre Peiniger und Unterdrücker erheben? In Südafrika sind die Sympathien für den ANC offenbar auf dem Tiefpunkt angekommen. Ein Ranger in einem Wildpark, mit dem ich ins Gespräch kam, sagte wörtlich: „Wo der ANC ist, herrscht das Chaos!“ Einen Beleg dieser Ansicht fand ich in einem Artikel einer südafrikanischen Zeitung. Da äußerte sich ein Mann namens Busisiwe Mavuso, seines Zeichens „Chief Executive Officer of Business Leadership South Africa“, eine Organisation, die einige der wichtigsten Unternehmen des Landes vertritt.

Dieser CEO sagte eine Revolution in Südafrika voraus, wenn nicht sehr bald diese drei Maßnahmen in Angriff genommen würden: Erstens Abbau der enormen sozialen Kluft (    …. Schwarze leben in Townships, die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell 32,9 Prozent, inoffiziell soll sie weit höher sein; ein Viertel der Bevölkerung leidet an Unterernährung). Zweitens fordert Mavuso einen schnellen Ausbau der Infrastruktur. Was er damit meint, ist klar: vor allem ein Ende der täglichen Stromausfälle (sieben bis zehn Stunden) – eine Katastrophe für ein Industrie-, Handels und Tourismusland wie Südafrika. Diese Katastrophe ist eindeutig auf Misswirtschaft, Korruption und Fehlplanungen des ANC in der Energiewirtschaft zurückzuführen. Und drittens fordert der Wirtschaftsexperte eine „Ende der Gesetzlosigkeit, die in weiten Bereichen der Gesellschaft herrscht.“

Der Staat am Kap ist von seiner Beschaffenheit her ein fruchtbares und an Bodenschätzen reiches Land, es hat Arbeitskräfte im Überfluss. Er könnte bei gerechter Verteilung des Reichtums ein Wohlfahrtsstaat für alle sein. Aber angesichts der prekären Lage dort stellt sich die dringliche Frage: Quo vadis, Südafrika?    

27.02.2023    

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