Endlich Gegenwind!

Die „Initiative G.G.5.3. Weltoffenheit“ war lange überfällig

Es hat lange gedauert, bis sich massiver Widerstand gegen die BDS-Bundestagsresolution im Lande formiert hat. Aber die Folgen dieses Beschlusses waren zu eindeutig, als dass man sie weiter hätte negieren können: eine Vergiftung des politischen und kulturellen Klimas. Neben dem Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) ist das wertvollste Gut der deutschen Verfassung die in Artikel 5 garantierte Meinungs-, Informations- und Pressfreiheit sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Sie ist durch die Bundestagsresolution in massiver Weise eingeschränkt worden, weil kaum noch eine offene Diskussion über die israelische Politik im Land möglich ist. Die Verteidiger Israels und seiner Politik setzen gegen BDS die schärfste Waffe ein, über die sie verfügen: den Antisemitismus-Vorwurf, und der Bundestag folgte ihnen darin. Dass eine Kampagne wie jetzt die Initiative G.G.5.3 Weltoffenheit zum Widerstand aufruft, war lange überfällig.

Die Problematik ist ja nicht neu. Die Propagandisten und Vertreter Israels üben ihr schmutziges Handwerk schon sehr lange aus. Schmutzig deshalb, weil sie keine Skrupel haben, Menschen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten und Völkerrecht einsetzen und diese universalistischen Prinzipien der Humanität auch für die Palästinenser einfordern, als „Antisemiten“ zu diffamieren und zu verleugnen, also mit den Schergen Hitlers auf eine Stufe zu stellen. Diese Leute proklamieren ganz bewusst gut zu böse und Recht zu Unrecht mit dem einzigen Ziel, die Kritik an Israels brutaler Okkupationspolitik über ein ganzes Volk im Keim zu ersticken, ja sie als „legitim“ zu rechtfertigen.

Das Problem ist ja nicht neu und nicht erst seit der BDS-Resolution des Bundestages aktuell. Schon 2010 hat der Israeli Moshe Zuckermann in seinem Buch „Antisemitit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument das infame Vorgehen der Israel-Verteidiger ausführlich beschrieben: „Kaum noch zur Sprache kommt nämlich, was es damit auf sich hat, dass der Antisemitismus-Vorwurf inzwischen selbst zum Fetisch geronnen ist, die Sachwalter des Antisemitismus-Vorwurfs sich (nach alter deutscher Tradition) wie scharfrichterliche Gesinnungspolizisten gerieren, und der real grassierende Antisemitismus sich an der Tendenz delektieren darf, dass alles, was sich kontingent anbietet, so sehr dem Antisemitismus-Vorwurf unterstellt wird, dass der wirklich zu bekämpfende Antisemitismus sich hinter der Verwässerung des Begriffs und seiner zunehmenden Entleerung konsensuell verstecken kann. Vor lauter Antisemitismus-Jagd ist inzwischen jeder und jede im deutschen öffentlichen und halböffentlichen Raum tendenziell dem drohenden Vorwurf ausgesetzt, manifest oder latent antisemitisch zu sein, wobei die keulenartige Drohgebärde mittlerweile so wirkmächtig geworden ist, dass viele in eingeschüchtert vorauseilender Unterwerfung die perfiden Regeln des Katz- und Maus-Spiels verinnerlicht haben und ihnen nichts dringlicher erscheint, als dem Vorwurf dessen, was ihnen gar nicht in den Sinn gekommen war, entkommen zu sollen.“

Und weiter: „Das In-Abrede-Stellen des Vorgeworfenen nützt nichts, wird mithin im günstigen Fall belächelt, im gängigeren aber als umso evidenterer Beweis für den unbewussten Antisemitismus des sich des Vorwurfs Erwehrenden gedeutet (und lauthals verkündet). Die Aura ahnungsvollen Wissens um das, was dem ignoranten Beschuldigten verborgen bleiben muss, umgibt jene, die sich schon mal in der Bezeichnung ‚hauptamtliche Antisemitismusjäger‘ gefallen, wobei sie inzwischen – auch das hat deutsche Tradition – nicht nur dezidiert zu bestimmen wissen, wer (annehmbarer) Jude, sondern gleich auch, wer unweigerlicher Antisemit sei.“

Das ist die politische und kulturelle Rufmord-Atmosphäre, die die Antisemitismusjäger lange vor dem BDS-Beschluss des Bundestages in Deutschland geschaffen haben und gegen die die Initiative G.G.5.3. Weltoffenheit jetzt mit ihrem Aufruf vorgeht. Zuckermann stellt mit diesen Sätzen auch klar, dass der Antisemitismus-Vorwurf im Zusammenhang mit BDS oder anderen „Delikten“ nichts mit wirklichem Antisemitismus zu tun hat. Der Antisemitismus-Vorwurf wird in diesem Zusammenhang einzig und allein für die politischen Interessen Israels instrumentalisiert. Es handelt sich hier also um einen rein instrumentellen Antisemitismus-Begriff.

Die BDS-Bundestagsresolution war so gesehen ein schlimmer Fehltritt des deutschen Parlaments. Wenn diese Resolution zur Folge hat, dass ein Albert Einstein oder eine Hannah Arendt heute in Deutschland nicht mehr öffentlich sprechen dürften, wie die amerikanisch-jüdische Philosophin Susan Neiman jetzt anmerkte, weil diese beiden jüdischen Intellektuellen sich auch sehr kritisch mit dem Zionismus und Israel auseinandergesetzt haben, dann ist das ein vernichtendes Urteil über das Einknicken der deutschen Politik vor Israel und seiner brutalen Apartheidpolitik. Es ist aber aufschlussreich, dass es gerade universalistisch denkende Juden und Jüdinnen bzw. Israelis sind, die jetzt in diesem Land mahnen, nicht dem nationalistischen Partikularismus einer rechtsextremen israelischen Regierung hörig zu sein, sondern „weltoffen“ zu sein , sich also an die universalen Prinzipien der Menschenrechte und des Völkerrechts zu halten.

Es war auch ein Israeli, der den BDS-Beschluss des Bundestages sofort nach seinem Zustandekommen als „Schande über Deutschland!“ bezeichnete und damals schrieb: „Deutschland hat gerade die Gerechtigkeit kriminalisiert. Ein Gemisch berechtigter Schuldgefühle, das durch zynische und manipulative israelische Erpressung orchestriert und auf die ekelerregende Spitze getrieben wurde, veranlasste den deutschen Bundestag jetzt, einen der empörendsten und bizarrsten Beschlüsse seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg zu verabschieden. (…) Von nun an wird Deutschland jeden Unterstützer von BDS als Judenhasser betrachten; die israelische Besatzung beim Namen zu nennen wird gleichbedeutend mit ‚Heil Hitler‘ sagen. Deutschland kann sich von nun an nicht mehr der Meinungsfreiheit rühmen. Es ist zu einem Erfüllungsgehilfen des israelischen Kolonialismus geworden. Es gibt zwar Antisemiten unter ihnen, aber die Mehrheit der BDS-Anhänger sind Menschen mit Gewissen, die glauben, dass ein Apartheidstaat es verdient, boykottiert zu werden. Was ist daran antisemitisch?“ Diese Sätze stammen von dem israelischen Journalisten Gideon Levy, sie standen am 23. Mai 2019 in der israelischen Tageszeitung Haaretz.

Man wünscht sich solche mutigen Stimmen auch in den deutschen Medien. Dass jetzt in ihnen die Kritik und die Ablehnung der Initiative überwiegen, verwundert nicht, man ist ganz offensichtlich gegen Weltoffenheit, Aufklärung und Universalismus. Dass der Antisemitismusbeauftragte Klein und seine publizistischen Büchsenspanner Salzborn, Steinke, Wolffsohn und andere sich heftig gegen den Vorwurf wehren, in Deutschland werde durch ihr Wirken die Meinungsfreiheit eingeschränkt, verwundert nicht. Sprachlos macht aber die Darstellung von Spiegel.online. Da heißt es wörtlich: „Die BDS-Bewegung lehnt den Staat Israel ab und möchte ihn durch Sanktionen zu Fall bringen.“ So kann man den Kampf eines ganzen Volkes für Menschenrechte und Völkerrecht auch beschreiben. Beim Spiegel macht man sich nicht einmal die Mühe, den BDS-Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft im Original einzusehen, in dem klar und deutlich steht, dass das vorrangige Ziel das Ende der Besatzung sei.

Wenn man den BDS-Aufruf gelesen hätte, dann müsste man ja auch zu der Frage Stellung nehmen, was die Palästinenser denn tun sollen, um ihre politischen Rechte zu erlangen: Wenden sie Gewalt an, sind sie Terroristen; versuchen sie es mit friedlichen Mitteln – eben dem Boykott, den die Zionisten übrigens in der vorstaatlichen Zeit auch gegen die dortigen Araber angewandt haben – , dann sind sie Antisemiten. In der Spiegel-Redaktion gilt wohl das, was der Berliner Antisemitismus-Beauftragte Samuel Salzborn zu diesem Problem mit seltener inhumaner Klarheit angemerkt hat: „Wenn im Zug am Nachbartisch die Leute anfangen, ohne jeden Grund auf ‚Palästina‘ zu sprechen kommen, ist es wahlweise Zeit, auszusteigen, Kopfhörer aufzusetzen oder sie anzuschreien: ‚Antisemitismus!‘“ (Quelle: Twitter 20.10.2019).

So weit ist es mit der politischen Kultur in Deutschland schon gekommen: Ein Mann, der eine solche rassistische Äußerung macht, kann sogar Antisemitismus-Beauftragter in einem deutschen Bundesland werden! Man kann nur hoffen, dass die Initiative G.G.5.3. Weltoffenheit nicht nur ein laues Lüftchen am Rande der politischen Debatten in diesem Lande auslöst, sondern zu einem nachhaltigen Sturm wird. Der Bundestag ist aufgerufen, Größe zu beweisen und die BDS-Resolution so schnell wie möglich zurückzuziehen. Diese Resolution ist – wie Gideon Levy geschrieben hat – eine Schande!

 

17.12.2020