Meine sehr verehrten Damen und Herren, Thema meines Vortrages ist die Exposition„1948. Die Ausstellung. Wie der Staat Israel entstand“, die ein völlig unbekannter Verein DEIN e.V. Verein für Demokratie und Information aus München erstellt hat. Ich vermute aber, dass hinter diesem Verein sehr potente politische Kräfte und Interessen stecken.
Die Ausstellung geht seit 2018, dem 70. Jubiläumsjahr der Gründung Israels, durch deutsche Städte. Ich denke, sie hat eine klare Aufgabe und ein klares Ziel: den Deutschen die zionistische, also die offizielle staatliche Version der israelischen Geschichte zu vermitteln. Genau an diesem Punkt muss auch die Kritik ansetzen. Ich habe 2018 diese Broschüre über die Ausstellung geschrieben. Sie hat den Titel: Ein klassischer Fall von Geschichtsfälschung. „1948. Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels“ ist eine Flucht in Mythen. Eine Gegendokumentation. Es ist bedauerlich, aber typisch für die deutsche Hörigkeit gegenüber Israel, dass es in der medialen Öffentlichkeit nicht eine breite Diskussion über diese Ausstellung gegeben hat und gibt.
Ich muss zu Beginn ein paar Worte zur israelischen Geschichtsschreibung sagen. Der israelische Historiker Ilan Pappe schreibt über die offizielle Geschichtsschreibung des Staates Israel, die die Zeit um 1948 behandelt, sie sei geprägt von „einer tief sitzenden Angst vor einer Debatte über die Ereignisse von 1948, da Israels ‚Behandlung‘ der Palästinenser in jener Zeit zwangsläufig beunruhigende Fragen nach der moralischen Legitimität des gesamten zionistischen Projekts aufwerfen würde. Für Israelis ist es daher von entscheidender Bedeutung, einen starken Verleumdungsmechanismus aufrechtzuerhalten, der ihnen nicht nur hilft, die von den Palästinensern in den Friedensverhandlungen gestellten Forderungen abzuwehren, sondern auch – und vor allem – jede eingehende Debatte über den Charakter und die moralischen Grundlagen des Zionismus zu vereiteln.“
In diesen Sätzen steckt eine äußerst scharfe Kritik an der zionistischen Geschichtsschreibung. Aber sie bringen das Problem auf den Kern: Weil das Unrecht, das die Zionisten den Palästinensern zugefügt haben, so ungeheuer groß ist, müssen sie ihre eigene Geschichte verdrängen und sich in politisch bewusst geschaffene Mythen flüchten. Die Wahrheit würde das ganze zionistische Projekt in Frage stellen, wie Ilan Pappe schreibt. Mythen haben zwar mit der historischen Wahrheit nur sehr entfernt etwas zu tun (bisweilen haben sie einen historischen Kern), aber sie erfüllen wichtige Funktionen: Sie schaffen ein Zusammengehörigkeits- und Identitätsgefühl, was ein junger Staat wie Israel, dessen Bewohner aus der ganzen Welt zugewandert sind, dringend braucht. Der Zionismus musste zudem Mythen schaffen, weil sich historisch, anthropologisch und juristisch keine sicheren und überzeugenden Gründe für den Anspruch auf das Land Palästina finden ließen, denn Mythen haben in diesem Fall Rechtfertigungscharakter.
Israel ist ein Weltanschauungsstaat, seine Staatsideologie ist der Zionismus. Die israelische Geschichtsschreibung war in Abhängigkeit von dieser Ideologie lange Zeit von Mythen und Legenden bestimmt, das heißt, sie passt sich auch heute noch teilweise Mythen und Legenden an. Ich werde im Folgenden auf etliche dieser Mythen eingehen.
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand eine neue Bewegung in der israelischen Geschichtswissenschaft, die sogenannten „neuen Historiker“, die kritisch und aufklärend gegen die Stereotypen und Klischees der zionistischen Geschichtsschreibung vorgegangen sind, was nicht zuletzt dadurch möglich wurde, dass die israelische Regierung wenigstens zum Teil Dokumente in den Archiven freigegeben hat. Aber auch die mündliche Befragung der letzten Überlebenden der Ereignisse – etwa über die Nakba – hat hier eine bedeutende Rolle gespielt. Die wichtigsten Vertreter der neuen Historiker-Generation sind Simcha Flapan, Benny Morris, Ilan Pappe, Avi Shlaim und Tom Segev, aber auch Shlomo Sand, Dan Diner und Moshe Zuckermann müssen dazu gerechnet werden. Sie alle haben wichtige Beiträge dazu geleistet, die zionistischen Mythen zu entmythologisieren. Der genannte Historiker Tom Segev nennt die zionistische Geschichtsschreibung „Geschichtsmythologie“. In diese Kategorie gehört auch die Ausstellung.
Man kann hinter die Ergebnisse der Arbeiten dieser Historiker nicht mehr zurückgehen. Wenn Zweifel an den Resultaten ihrer Forschungen bestehen, muss man sie widerlegen. Von einem solchen rationalen Diskurs lebt die Wissenschaft und nur so macht sie Fortschritte. Die Ausstellung 1948. Die Ausstellung zur israelischen Staatsgründung, genügt einem solchen Anspruch in keiner Weise. Sie nimmt die Arbeiten der neueren israelischen Geschichtswissenschaft überhaupt nicht zur Kenntnis, tut so, als gebe es sie gar nicht – und fällt so in eine von zionistischen Mythen bestimmte Geschichtsauffassung zurück.
Die Ausstellungsmacher machen zwar hohe Ansprüche für den Wahrheitsgehalt ihrer Exponate geltend, das klingt alles sehr gut, aber die Ausstellung wird den von ihr selbst gesetzten Kriterien in keiner Weise gerecht, sie ist im Grunde reine Propaganda für Israel. Man wundert sich über den Mut, mit solchen Geschichtsfälschungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Ihre Methode des Vorgehens ist kurz gesagt: weglassen, vertuschen, manipulieren.
Es ist verblüffend, welche für den Palästina-Konflikt wichtige Fakten in der Ausstellung gar nicht vorkommen. Die behaupteten Fakten – etwa Gewalt von Seiten der Palästinenser (israelische Gewalt gibt es nur als Verteidigung) – werden so gut wie nie in einen politischen oder historischen Kontext gestellt. Die Grundaussage ist: Die eingewanderten Juden sind friedfertig und versöhnlich, die Palästinenser gewalttätig und brutal.
Ich werde im Folgenden die Darstellung der wichtigsten geschichtlichen Ereignisse, wie sie auf den Tafeln der Ausstellung sowie im Ausstellungskatalog aufgeführt sind, vorstellen und meine kritische Antwort darauf diesen Behauptungen gegenüberstellen.
Zionismus
Da ist zunächst die israelische Staatsideologie: der Zionismus. Ohne den Zionismus gäbe es gar keinen Staat Israel, er war die treibende Kraft, diesen Staat erst zu schaffen. Im Ausstellungskatalog wird dieser Begriff aber nur an einer Stelle erwähnt – mit acht ganzen Zeilen. Es heißt da: „Eine jüdische Bewegung, um Selbstbestimmung im eigenen Staat zu erlangen. Der Zionismus entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der Erfahrung jahrhundertelanger Unterdrückung als religiöse und ethnische Minorität.“ Das ist alles.
Diese Erklärung ist nicht falsch, aber sie erklärt so gut wie nichts und verschweigt so gut wie alles. Das Ziel des Zionismus war von Anfang an, für den angestrebten jüdischen Staat so viel von dem Land Palästina wie möglich mit so wenig Palästinensern darauf wie möglich zu bekommen, was die Vertreibung der Palästinenser natürlich einschloss und bis heute einschließt, denn dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen, wie die Aussagen von vielen israelischen Politikern der Gegenwart belegen. Für dieses zionistische Ziel gibt es unendlich viele Belege, und die Zionisten haben es bis heute konsequent in die Tat umgesetzt – siehe die völkerrechtswidrige Besiedlung und schrittweise Annexion des Westjordanlandes.
Denn Zionismus bedeutet in der Praxis in der Geschichte Palästinas, dass diese Bewegung einem Volk sein Land gewaltsam geraubt hat, 1948 in der Nakba 800 000 Menschen dieses Volkes (das war die Hälfte des palästinensischen Volkes) ins Flüchtlingsexil trieb und im Krieg von 1967 noch einmal 300 000 Menschen vertrieb. Die Zionisten besiedelten das Land mit jüdischen Einwanderern, stuften die restlichen indigenen Bewohner als „Fremde“ ein und diskriminierensie bis heute.
Der Zionismus ist die Ursache dafür, dass es einen Konflikt zwischen Palästinensern und zionistischen Juden gibt, der nun schon über 140 Jahre andauert, denn um 1880 kamen die ersten jüdischen Siedler ins Land. Dass die Gründung eines jüdischen Nationalstaates mitten in einem arabischen Land nur mit Gewalt möglich war, versteht sich von selbst, denn ein Volk gibt niemals freiwillig seine Heimat auf, und die Zionisten haben nie die Zustimmung der Palästinenser zum Zusammenleben und zur Kooperation mit ihnen gesucht.
Moses
Die erste Behauptung der Ausstellung ist: Moses hat die Juden aus Ägypten in einer 40jährigen Wanderschaft durch die Wüste geführt und auf diesem Marsch das Volk Israel geschaffen. Hier handelt es sich um einen reinen Mythos. Ich beziehe mich hier auf den israelischen Historiker Shlomo Sand, der feststellt, dass im 13. Jahrhundert, als der Auszug aus Ägypten stattgefunden haben soll, Kanaan und auch der Sinai unter der ägyptischen Herrschaft der Pharaonen standen. Mit anderen Worten: Moses hat danach die befreiten jüdischen Sklaven von Ägypten nach Ägypten geführt. Der 40jährige Marsch eines nach der Bibel Millionen Menschen umfassenden Volkes durch die Wüste ist auch höchst unglaubhaft, denn wie und womit versorgten sich diese Menschen in diesen 40 Jahren in der Wüste? Solch ein gewaltiger Marsch hätte mit Sicherheit irgendwelche Inschriften oder archäologischen Spuren hinterlassen müssen, aber es gibt sie nicht. Sand schreibt: „Das Problem ist, dass nicht ein Hinweis auf die ‚Kinder Israels‘, die in Ägypten lebten und sich gegen ihre Unterdrücker auflehnten und es verließen, gefunden wurde.“
Auch die Eroberung Kanaans durch Josua ist ein Mythos, der unter den Forschungsergebnissen der neueren Archäologie zusammenbricht. Wenn zu diesem Zeitpunkt in Kanaan die Pharaonen herrschten, warum wird dann die Eroberung Kanaans in keinem ägyptischen Text erwähnt? Die Ägypter zeichneten ihre Geschichte sehr genau auf. Warum steht in der Bibel nichts von dem ägyptischen Landstrich Kanaan?
Die beiden bedeutenden israelischen Archäologen Israel Finkelstein und Neil A. Silberman halten die biblischen Berichte über die jüdische Eroberung Kanaans und die so behauptete Entstehung des jüdischen Volkes auch für falsch: Sie schreiben: „Anders als es in der Bibel steht war der Aufstieg des frühen Israels ein Ergebnis des Zusammenbruchs der kanaanäischen Kultur, nicht ihre Ursache. Und die meisten Israeliten kamen nicht von außen nach Kanaan – sondern aus seiner Mitte heraus. Es gab keinen Massenauszug aus Ägypten, ebenso wenig wie eine gemeinsame Einnahme Kanaans. Die meisten Menschen, die das frühe Israel bildeten, waren Einheimische – die gleichen, die im Bergland in der Bronze- und Eisenzeit zu sehen sind. Die frühen Israeliten waren – Gipfel der Ironie – selber ursprünglich Kanaaniter!“ Danach sind die Juden also eine Abspaltung, die sich aus dem kananitischen Volk entwickelt hat.
Israel Finkelstein bestätigt auch, dass man weder vom Tempel Salomons noch von Davids Palast irgendwelche archäologischen Spuren gefunden hat. Die Behauptung von großen und mächtigen jüdischen Königreichen ist also eine Legende. Es waren in Wirklichkeit nur kleine Bergkönigtümer, die bald wieder aus der Geschichte verschwanden, weil Palästina von fremden Eroberern – Assyrern, Babyloniern, Persern, Griechen, Römern, Byzantinern, Arabern, Kreuzrittern, Mamelucken und später von den Osmanen – in Besitz genommen wurde. Juden haben in diesem Land also nur eine sehr kurze Zeit geherrscht. Dennoch halten die Zionisten – wie auch die Ausstellung beweist – an diesen Mythen fest, weil sie mit ihnen den Anspruch auf das Land begründen. Aber dieser Anspruch steht juristisch auf tönernen Füßen.
„Leeres“ Palästina
Die nächste Behauptung der Ausstellung lautet, dass die zionistischen Pioniere, die ab etwa 1880 in Palästina ankamen, ein relativ leeres, ödes und verkommenes Land vorgefunden hätten und dass sie erst die Wüste zum Blühen gebracht hätten. Das ist die übliche Behauptung, die alle Siedlerkolonisten aufgestellt haben, um ihre gewaltsame Besitznahme von Land zu rechtfertigen. Die klassische Definition des Siedlerkolonialismus trifft deshalb auf Israel genau zu: „Der reine Siedlerkolonialismus, für den Israel ein Beispiel ist, strebt danach, die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen. Die Grenzen werden stets weiter nach vorne verschoben und die einheimische Bevölkerung wird auf stets kleiner werdenden Flächen zusammengedrängt, um ihr Land und ihre Ressourcen für die Siedlerbevölkerung freizumachen. Charakteristisch für siedlerkolonialistische Gebilde sind neben territorialer Expansion ein ausgeprägter Rassismus in der Siedlerbevölkerung und die Behauptung, das Land sei menschenleer gewesen, als die Siedler kamen.“ (Petra Wild) Beispiele für Siedlerkolonialismus sind die USA, Australien, Neuseeland und natürlich Israel.
Man muss auf die Behauptung vom „leeren“ Land Palästina eigentlich gar nicht weiter eingehen. Unzählige Reiseberichte aus dem 18. Und 19. Jahrhundert vor Ankunft der Zionisten belegen das Gegenteil. Ich will nur eine Stimme zitieren, den amerikanischen Missionar Thomson, der im 19. Jahrhundert Palästina besucht hat. Er sah „weite Gebiete, auf denen Getreide, Oliven, Feigen, Melonen, Mandelbäume und Weinstöcke angebaut waren. In der Nähe der großen Städte registrierte er überall sehr fruchtbares Land, das kultiviert war.“ Er lobte die Schönheit und den Glanz der Städte. Ganz ähnlich steht es in Baedeker-Reiseführern aus jener Zeit.
Auch zwei jüdische Autoren bestätigen diese Angaben: Der zionistische Philosoph Achad Ha’am, der aus Russland stammte, schrieb in seinem Buch „Truth from Palästine“ (1891), dass Palästina nicht leer und verlassen war und alles für den Ackerbau nutzbare Land schon von der einheimischen arabischen Bevölkerung bearbeitet wurde. Und ein anderer Jude, Yitzak Epstein, schalt 1905 in seinem Buch „A Hidden Question“ die Zionisten dafür, dass sie eine wichtige Tatsache übersahen, „dass in unserem geliebten Land ein ganzes Volk lebt, das dort seit vielen Jahrhunderten wohnt und niemals daran gedacht hat, es zu verlassen.“
Nun ist es keine Frage, dass Palästina, das unter osmanischer Herrschaft stand und von den Türken auch ausgebeutet wurde, ein rückständiges Land war und dass die Zionisten kapitalistische Produktionsverhältnisse in einer Region einführten, die noch feudalistisch strukturiert war. Damit hängt die Behauptung der Zionisten zusammen, die auch in der Ausstellung erhoben wird, sie hätten in Palästina eine zivilisatorische Aufgabe erfüllt, von der auch die dort lebenden Araber profitiert hätten. Das Gegenteil ist der Fall, denn die zionistische Kolonisation hat für die indigene Bevölkerung verheerende Folgen gehabt, die kolonisatorische Arbeit der Zionisten hat ihnen letztlich ihre Heimat genommen.
Verachtung der Araber
An dieser Stelle der Ausstellung wird behauptet, dass das Verhältnis zwischen jüdischen Einwanderern und arabischen Bewohner am Anfang sehr gut gewesen sei. Die Araber hätten die Juden aufgrund ihrer zivilisatorischen Überlegenheit regelrecht bewundert. Auch diese Aussage muss man als Mythos entlarven. Der schon erwähnte Achad Ha’am war entsetzt über das, was er um 1880 in Palästina erlebte, denn die Zionisten gingen nicht gerade freundlich mit der einheimischen Bevölkerung um. Achad Ha’am schrieb: „Wir sollten als Lehre aus der unserer Geschichte darum bemüht sein, einem fremden Volk, unter dem wir wieder leben, mit Liebe und Achtung und natürlich mit Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit zu begegnen. Und was machen unsere Brüder im Lande Israel? Ganz das Gegenteil! Sie waren Sklaven in den Ländern des Exils, und plötzlich verfügen sie über unbegrenzte Freiheit, die Art wilder Freiheit, die sich nur in Palästina finden lässt. Dieser plötzliche Wandel hat in ihnen einen Drang zum Despotismus ausgelöst, wie es stets geschieht, wenn ‚ein Sklave König wird‘, und siehe da, sie begegnen den Arabern mit Feindschaft und Grausamkeit, berauben sie ihrer Rechte, schlagen sie schmählich ohne Grund, brüsten sich dessen sogar, und niemand wirft sich dazwischen und gebietet ihrem gefährlichen und abscheulichen Trieb Einhalt.“
Interessant ist auch, was der israelische Psychoanalytiker Benjamin Beit-Halahmi in seinem Buch über den Zionismus über das Verhältnis von Zionisten und palästinensischen Arabern schreibt: „Sie waren nicht Teil einer Gleichung. Sie waren für die Zionisten eigentlich gar nicht vorhanden, waren ‚unsichtbar‘ und kamen in den Visionen und Plänen der Zionisten gar nicht vor. Die einheimische Bevölkerung musste ausgesondert und ausgeschieden (eliminated) werden. Der Krieg gegen die Eingeborenen (natives) war schlicht und einfach ein Teil der Umwandlung der Natur des Landes, und sie waren ein anderes Element der Natur, man musste sie [die Eingeborenen] erobern und sie bekämpfen wie die Sümpfe, die Hitze und die Malaria.“
Mit der Behauptung der zivilisatorischen Mission hängt auch die nächste Aussage der Ausstellung zusammen. Da das Land „leer“ gewesen sei, hätte erst eine beträchtliche arabische Zuwanderung zu den von den Zionisten dort geschaffenen Arbeitsplätzen für eine größere arabische Bevölkerung in Palästina gesorgt. Diese Aussage kann man nur als eine dreiste Lüge bezeichnen. Schon der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl hatte das genaue Gegenteil gefordert.
Er schrieb: „Die Zionisten müssen sich zunächst in zureichender Weise den Grundbesitz der arabischen Bevölkerung verschaffen. Die Einheimischen – insbesondere die Armen – sollen unbemerkt über die Grenze in Nachbarländer transportiert werden, nachdem sie vorgängig die gröbste Kolonisierungsarbeit im Judenstaat geleistet haben. Den Arabern darf im Judenstaat keine Arbeit gegeben werden; auch ist es der eingeborenen Bevölkerung untersagt, von Juden erworbenes Land zu kaufen.“ Auch über die geographische Ausdehnung des Judenstaates hatte sich Herzl schon Gedanken gemacht: Er sollte die Sinai-Halbinsel einschließen und neben Palästina auch große Teile Syriens umfassen und bis an die Ostgrenze des heutigen Jordanien reichen.
Die Zionisten setzten in Palästina genau das um, was Herzl gefordert hatte. Am Anfang durften die palästinensischen Araber noch die „gröbste Arbeit“ für die zionistischen Arbeitgeber verrichten, dann führten die Zionisten das Prinzip der „Jüdischen Arbeit“ ein. Die Parole hieß „Eroberung der Arbeit“ und implizierte „eine jüdische Wirtschaft, die die Araber ausschließt, um die Beschäftigung [jüdischer] Immigranten zu sichern.“ Die zionistische Arbeiterbewegung stellte sich dieser Entwicklung nicht entgegen und unterstützte das Ziel, palästinensischen Arabern jedwede Arbeitsmöglichkeit in jüdischen Siedlungen, Betrieben, Geschäften, Industrien und auf jüdischen Farmen zu verhindern.
Der angesprochene Zuzug aus arabischen Ländern nach Palästina wurde von einer amerikanischen Journalistin in ihrem Buch From Time Immemorial behauptet. Das Buch war in Amerika zunächst ein großer Erfolg. Der amerikanische Politologe Norman G. Finkelstein hat sich dann kritisch mit dem Buch auseinandergesetzt und es als „Schwindel“ entlarvt. Er stieß mit dieser These zunächst auf großen Widerstand, aber seine Beweisführung war so gut, dass sie sich durchsetzte. Sie ist heute sogar bei Wikipedia nachzulesen.
Eine weitere Behauptung der Ausstellung besagt, dass es im 19. Jahrhundert eine jüdische Mehrheit in Jerusalem gegeben habe. Die dort angegebene Statistik beruht aber auf Schätzungen, es gab damals noch gar keine systematischen Volkszählungen. Die Zahlen sind also mit Vorsicht zu behandeln. Kurz vor dem Teilungsbeschluss 1947 war das Verhältnis von Arabern zu Juden in Jerusalem 68 zu 32. Die Juden waren in Palästina im 19. Jahrhundert eine kleine Minderheit von etwa 25 000 Menschen.
Dazu muss man anmerken, dass es sich dabei um strenggläubige orthodoxe Juden handelte, die keinerlei Anspruch auf das Land erhoben wie später die Zionisten. Außerdem lebten sie nach eigenen Aussagen friedlich, oft sogar freundschaftlich mit ihren arabischen Nachbarn zusammen. Streit und Gewalt kamen erst mit den Zionisten ins Land.
Die „Jüdische Heimstätte“
Dann wird in der Ausstellung behauptet, dass sowohl in der britischen Balfour-Erklärung von 1917 wie auch im Text des Völkerbundmandats für Palästina von 1922 von der Entstehung eines jüdischen Staates in Palästina die Rede gewesen sei. In der Balfour-Erklärung heißt es wörtlich: „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, mit der Maßgabe, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“ Angesprochen wird also eine „jüdische Heimstätte“, das Wort Staat kommt in dem Text nicht vor. (Inzwischen ist die Behauptung, dass in der Balfour-Erklärung von einem „jüdischen Staat“ die Rede ist, in der Ausstellung korrigiert worden.)
Die Balfour-Erklärung wurde in das Völkerbund-Mandat für Palästina übernommen. Die englische Mandatsmacht hat zudem in verschiedenen Weißbüchern bestätigt, dass die Jüdische Nationale Heimstätte nicht mit der Schaffung eines Judenstaates identisch sei. Den Juden sei zu keiner Zeit weder von den Mandatsträgern noch von den Arabern „ein Teil Palästinas zur exklusiven Nutzung“ zugesagt worden. Die jüdische Immigration sei stets auf der Basis des Mandats erfolgt, das eine einzige Regierung in einem unabhängigen und ungeteilten Staat Palästina vorsehe. Im Artikel 22 des Völkerbund-Mandats steht ausdrücklich, dass Großbritannien als Träger des Mandats das gesamte palästinensische Volk – also Araber und Juden – auf seine Souveränität vorbereiten soll. Von der Bildung eines jüdischen Staates war also im Völkerbundsmandat auch keine Rede.
Der UNO-Teilungsbeschluss
Dann behaupten die Macher der Ausstellung, der UNO-Teilungsbeschluss vom November 1947, der vorsah einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina zu schaffen, hätte für die Juden unerwartete Härten bedeutet. Um diese Behauptung zu prüfen, muss man einen Blick auf die Details des Beschlusses werfen. Im einzelnen sah der Teilungsplan vor, dass die Zionisten, obwohl sie damals nur 5,6 Prozent des palästinensischen Bodens besaßen und nur etwa ein Drittel der Bevölkerung stellten (das Verhältnis war 1,36 Millionen Araber und 608 000 Juden) 56,47 Prozent des palästinensischen Landes bekommen würden, wobei darin die fruchtbaren Teile der Küstenebene enthalten waren, hier besonders die Ebene von Esdraelon und das Tal von Jezreel. Für die Palästinenser – also zwei Drittel der Bevölkerung – blieben also nur 42,8 Prozent des Landes. Den Rest von 0,7 Prozent waren der internationalen Zone von Jerusalem vorbehalten. Die Aufteilung enthielt weitere kuriose Ungerechtigkeiten. So machten im südlichen Bezirk der Bersheeba-Region der jüdische Bevölkerungsanteil weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus, dennoch sollte sie zum jüdischen Staat kommen.
Es ist schwer zu sehen, warum die Juden da benachteiligt sein sollten. Mit Recht sahen sich die Araber also benachteiligt, die sich natürlich fragten, warum sie überhaupt die Hälfte ihres Landes abgeben sollten. Sie lehnten den Beschluss denn auch ab. Dazu kommen völkerrechtliche Einwände. Selbst das UN-Spezial Subkomitee on Palestine stellte fest, dass die Vereinten Nationen nach ihren Statuten nicht die Macht haben, einfach einem Volk Land wegzunehmen, es einem anderen eingewanderten Volk zu geben und einen neuen Staat zu gründen. Eine solche Entscheidung könne nur durch den freien Willen des Volkes des in Frage stehenden Landes selbst getroffen werden. Der UN-Teilungsbeschluss sei in völliger Missachtung der Wünsche und Interessen der Araber Palästinas getroffen worden. Mit anderen Worten: Die UNO ist nach ihren Statuten an das Selbstbestimmungsrecht der Völker gebunden, das hier gröblich verletzt worden ist.
Der Krieg 1949/49
Über den israelisch-arabischen Krieg 1948/49 erfährt man in der Ausstellung, dass er so gut wie das ausschließliche Werk des Mufti von Jerusalem, Hadj Amin Al-Husseini, war. Sein „Fanatismus und Machtstreben“ hätten 1948 „zu einem erbitterten Krieg geführt, dem 6000 Juden zum Opfer gefallen“ seien, damals ein Prozent der 600 000 jüdischen Bewohner Palästinas. Über die in diesem Krieg getöteten Araber erfährt der Leser nichts, das ist wohl nicht erwähnenswert. Den rhetorischen Fähigkeiten des Mufti sei es gelungen, die Araber – besonders Ägypten – zur Teilnahme am Krieg zu überzeugen.
Mehr ist in der Ausstellung über die Gründe des Krieges nicht zu erfahren, obwohl es inzwischen eine sehr umfangreiche Literatur zu diesem Thema gibt. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen sind diese Angaben über den israelisch-arabischen Krieg in der Ausstellung nicht nur unrichtig und unzutreffend, sie sind schlicht falsch und gehen an der Sache völlig vorbei, denn in der ernstzunehmenden wissenschaftlichen Literatur spielt der Mufti im Zusammenhang mit diesem Krieg so gut wie keine Rolle.
Die Geschichte dieses Krieges ist außerordentlich vielschichtig und sehr kompliziert und kann schon gar nicht an einer Person festgemacht werden, die ohnehin zu diesem Zeitpunkt ihre Macht und ihren Einfluss schon längst eingebüßt hatte. Die Verfasser der Ausstellung sehen die Nakba, die sie als solche völlig leugnen, sozusagen als Kollateralschaden des Krieges von 1948 an, was gar nicht möglich ist.
Es heißt in der Ausstellung unter dem Stichwort Flüchtlinge: „Die arabische Invasion 1948 löste einen Krieg aus, in dessen Verlauf und Folgen drei Flüchtlingsströme ausgelöst wurden. Ca. 850 000 Juden wurden aus den arabischen Ländern vertrieben. Ca. 700 000 palästinensische Araber flüchteten in arabische Nachbarländer. Fluchtursache der palästinensischen Araber war größtenteils der Aufruf arabischer Machthaber, ihre Dörfer zu verlassen, um den arabischen Armeen eine ungehinderte Eroberung Palästinas zu ermöglichen und die Furcht vor dem Krieg. Eine dritte Flüchtlingsgruppe waren ca. 70 000 Juden, die von der Arabischen Legion aus der Westbank (inklusive der jüdischen Altstadt von Jerusalem) vertrieben wurden.“ Es muss hier aber klar festgestellt werden: Die Nakba war kein Nebenprodukt des Krieges, sondern eine unabhängig von ihm geplante und durchgeführte ethnische Säuberung.
Unter dem Stichwort „Nakba“ heißt es in der Ausstellung: „Arabisch für Katastrophe. Beschreibt generell den Zeitraum um 1948 mit unterschiedlicher Fokussierung auf die militärische Niederlage der Mufti-Milizen, Flucht palästinensischer Araber aus dem Kriegsgebiet und ihre Irreführung durch arabische Führer wegen deren Aufrufen, das Land zu verlassen.“ Diese Darstellung stellt das Geschehen des Jahres 1948 völlig auf den Kopf und unterschlägt die Rolle, die die Zionisten in der Nakba und im Krieg gespielt haben, vollständig. Da werden Mythen und Legenden aufgetischt, die mit der historischen Wahrheit nichts zu tun haben.
Die Nakba
Was nun folgte, war nicht ein Krieg gegen die Araber, bei dem es „tragischerweise, aber unvermeidbar“ zur Vertreibung von Teilen der palästinensischen Bevölkerung gekommen ist, wie die offizielle zionistische Version und auch die Ausstellung behaupten. Nicht nur Ilan Pappe hält dagegen, dass es in Wirklichkeit umgekehrt war: Hauptziel der Nakba war die ethnische Säuberung ganz Palästinas, um den neuen Staat der Zionisten schaffen zu können. Pappe definiert den Begriff ethnische Säuberung so: „Sie ist ein Bestreben, ein ethnisch gemischtes Land zu homogenisieren, indem man eine bestimmte Menschengruppe vertreibt, zu Flüchtlingen macht und die Häuser zerstört, aus denen sie vertrieben wurden. Die entscheidende Frage ist, ob dem Vorgehen der Zionisten ein Plan zu Grunde lag, auf dessen Grundlage die ethnische Säuberung durchgeführt wurde. Diesen Plan gab es tatsächlich.
Am 10. März 1948 autorisierte die Beratergruppe des Zionistenführers Ben Gurion den Plan D (Dalet), anschließend billigte das Hagana-Kommando ihn, (die Hagana ist die Armee der vorstaatlichen jüdischen Gesellschaft in Palästina). Dann ging der Plan D in Form von militärischen Befehlen an die Truppen vor Ort. In der von der Geheimdienstabteilung der Hagana erarbeiteten Blaupause des Plans Dalet heißt es: „Die Operationen lassen sich folgendermaßen durchführen: entweder durch Zerstörung von Dörfern (indem man sie in Brand setzt, sprengt und die Trümmer vermint) und insbesondere von Wohngebieten, die auf die Dauer schwer zu kontrollieren sind, oder durch Durchsuchungs- und Kontrolloperationen nach folgenden Richtlinien: Umstellen und Durchkämmen der Dörfer. Im Fall von Widerstand sind die bewaffneten Kräfte auszuschalten und die Einwohner über die Landesgrenzen zu vertreiben.“
Die palästinensische Zivilbevölkerung konnte sich in diesem grausamen und brutalen Krieg nicht wehren, weil dieses Volk gar nicht über militärische Kräfte verfügte. Die Palästinenser nennen diese ethnische Säuberung Nakba – die Katastrophe. Das Ziel der Zionisten war nicht – das muss hier gesagt werden – , einen Völkermord an den Palästinensern zu begehen, sondern Angst, Schrecken und Panik unter ihnen zu verbreiten, um sie so aus dem Land zu vertreiben. Dabei spielte aber Rücksicht auf menschliches Leben keine Rolle. Mordechai Maklef etwa, der Operationschef der Carmeli-Brigade, gab seiner Truppe den Befehl: „Tötet jeden Araber, den ihr trefft, setzt alles Brennbare in Brand und sprengt die Türen auf!“ Er wurde später Stabschef der israelischen Armee.
Berühmt und berüchtigt ist das Massaker von Deir Jassin geworden, einem Dorf in der Nähe von Jerusalem. Dieses Dorf hatte einen Nichtangriffspakt mit der Hagana geschlossen. Deshalb schickten die Zionisten die Irgun, eine Terrorgruppe, dorthin. Am 9. April besetzte diese Truppe das Dorf und ging nach dem Plan Dalet vor. Ilan Pappe beschreibt, was geschah: „Als die jüdischen Soldaten in das Dorf eindrangen, nahmen sie die Häuser mit Maschinenpistolen unter Dauerfeuer und töteten viele Einwohner. Anschließend trieben sie die übrigen Einwohner an einem Ort zusammen, ermordeten sie, schändete ihre Leichen und vergewaltigten eine Reihe von Frauen, bevor sie sie töteten.“
Die Historiker sprechen inzwischen von 93 Todesopfern. Das Rote Kreuz, das unmittelbar nach dem Massaker in das Dorf kam, sprach von 240 Toten. Die Differenz erklärt sich vielleicht dadurch, dass palästinensische Kämpfer, die sich natürlich gewehrt hatten und erschossen wurden, nicht mitgezählt wurden. Anführer der Irgun bei diesem Massaker war Menachem Begin, der später israelischer Ministerpräsident wurde. Er hat sich stests mit diesem Massaker gebrüstet, denn ohne Deir Jassin gäbe es keinen israelischen Staat.
Die Ausstellung sieht die Palästinenser natürlich als Schuldige für das Massaker: Es heißt dort: "Die Irgun versuchte, sich zum belagerten Jerusalem durchzukämpfen und stieß auf das arabische Dorf Deir Yassin, das den westlichen Zugang nach Jerusalem überblickte. Das Dorf hatte mit jüdischen Nachbarorten einen Nichtangriffspakt geschlossen. Heimlich ließen die Dorfbewohner aber arabische Kämpfer in den Häusern Stellung beziehen. Als die Irgun aus den Häusern beschossen wurde, stürmte sie das Dorf. Beim Gefecht kamen über 100 Araber ums Leben, vier jüdische Kämpfer wurden erschossen, 35 verwundet."
Das Ergebnis der Nakba insgesamt war furchtbar. Elf arabische Stadtviertel und 531 palästinensische Dörfer wurden zwangsgeräumt, viele dem Erdboden gleichgemacht; 800 000 Menschen mussten fliehen. Es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Massakern auch an Frauen und Kindern. Ilan Pappe bezeichnet die Nakba als ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und äußert seine Fassungslosigkeit, dass Juden wenige Jahre nach dem Holocaust ein solches Verbrechen begehen konnten.
Ich muss auch noch auf die Geschehnisse des Krieges von 1948/49 zurückkommen: Der zionistische Mythos, den auch die Ausstellung übernommen hat, lautet folgendermaßen: Alle arabischen Staaten hatten sich in ihrer Entschlossenheit, den gerade ins Leben gerufenen jüdischen Staat zu vernichten, vereint und taten sich am 15. Mai 1948 zusammen, um in Palästina einzumarschieren und dessen jüdische Bewohner hinauszuwerfen. Der arabische Einmarsch in Palästina am 15. Mai – unter Verstoß gegen die UN-Teilungsresolution – machte den Krieg von 1948 unausweichlich. Der winzige junge israelische Staat stand dem Angriff der arabischen Streitkräfte gegenüber wie David dem Riesen Goliath: ein zahlenmäßig weit unterlegenes, schlecht bewaffnetes Volk, das Gefahr lief, von einer übermächtigen Militärmaschinerie zermalmt zu werden. Israel hat seine Hand immer zum Friedensschluss ausgestreckt, aber da kein arabischer Führer je das Existenzrecht Israels anerkannt hat, gab es nie jemanden, mit dem man Friedensgespräche hätte führen können. So weit der zionistische Mythos über diesen Krieg.
Der Krieg in Palästina begann nicht mit der Invasion der arabischen Armeen am 15. Mai 1948 – also dem Tag der Ausrufung des Staates Israel – , wie von zionistischer Seite behauptet wird, sondern unmittelbar nach dem Teilungsbeschluss der UNO am 27. November 1947, denn schon im Dezember griffen die Zionisten palästinensische Städte und Dörfer an. Diese Überfälle wurden zunächst als Vergeltungsschläge auf palästinensische Attacken hin dargestellt, nahmen aber schon kurze Zeit später eindeutig den Charakter einer ethnischen Säuberung an, was führende Zionisten auch immer wieder offen bekannten: das Ziel war die Eroberung ganz Palästinas, um einen homogenen jüdischen Staat schaffen zu können – mit so wenig Arabern wie möglich.
Die jüdischen Truppen begannen ihr Angriffe auf palästinensische Städte und Dörfer also schon lange vor dem Mai 1948, also der israelischen Staatsgründung. Anfang Januar marschierte die „Arabische Befreiungsarmee“ ein, mit deren wenigen Kämpfern die jüdischen Truppen aber keine Probleme hatten. Am 10. März wurde Plan D beschlossen. Bis Ende März konnten die jüdischen Verbände fast alle wichtigen palästinensischen Städte erobern. Bis zum 15. Mai [dem Tag der israelischen Staatsgründung] waren schon unzählige Dörfer zerstört und etwa 250 000 Palästinenser vertrieben worden. Die zionistischen Truppen hatten in dieser Zeit auch schon weite Gebiete besetzt, die von der UNO eigentlich für den palästinensischen Staat vorgesehen waren. Erst in dieser Situation beschlossen die Araber, Armeen (es waren nicht die arabischen Armeen) nach Palästina zu schicken. Sie fühlten sich verpflichtet, den bedrängten Palästinensern zu Hilfe zu kommen. Sie kamen aber erst am Tag der israelischen Staatsgründung, weil da das britische Völkerrechtsmandat für Palästina abgelaufen war.
Ilan Pappe kommentiert die Situation im Mai 1948 so: „Alles das geschah, bevor auch ein einziger regulärer arabischer Soldat Palästina betreten hatte. Von nun an entwickelten sich die Ereignisse so rasant, dass zeitgenössische wie auch spätere Historiker Mühe hatten, zu folgen. Zwischen dem 30. März und dem 15. Mai 1948 wurden 200 Ortschaften besetzt und ihre Einwohner vertrieben. Diese Tatsache ist noch einmal hervorzuheben, da sie den israelischen Mythos erschüttert, die ‚Palästinenser‘ seien geflüchtet, nachdem die ‚arabische Invasion‘ begonnen habe. Die Angriffe auf beinahe die Hälfte der arabischen Dörfer waren bereits erfolgt, als die arabischen Regierungen schließlich widerstrebend, wie wir wissen, beschlossen, ihre Truppen zu entsenden. Weitere 90 Dörfer sollten zwischen dem 15. Mai und dem 11. Juni ausradiert werden, als die erste der beiden Waffenrufen in Kraft traten.“
Das alles sind Tatsachen. Dazu kam, dass die arabischen Armeen sehr schlecht ausgerüstet waren, nicht einmal ein gemeinsames Oberkommando besaßen und große Nachschubprobleme hatten. Ein wichtiges Detail dieses Krieges ist, dass die stärkste Armee des Nahen Osten – die jordanische Arabische Legion – an diesem Krieg gar nicht teilnahm, weil König Abdallah ein Geheimabkommen mit Israel geschlossen hatte, das ihm das Westjordanland zusicherte, wenn er seine Armee aus den Kämpfen heraushalten würde. Die zionistischen Truppen waren viel besser ausgerüstet – sie hatten moderne Waffen aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei bekommen. Außerdem waren die jüdischen Truppen im Gegensatz zu den arabischen hoch motiviert. So wundert es nicht, dass Israel diesen Krieg gewann und am Ende der Kämpfe durch seine Eroberungen 78 Prozent Palästinas besaß.
Rolle des Mufti
In der Ausstellung wird auch behauptet, dass der Mufti von Jerusalem Hadj Amin al Husseini auf arabischer Seite die treibende Kraft hinter dem Krieg von 1948/49 gewesen sei. Dieser Mann war eine sehr umstrittene Figur, weil er mit den Nazis kollaboriert hatte. Er war aber auch keineswegs der Führer aller Palästinenser. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er seinen Einfluss und seine Macht weitgehend verloren. Das bestätigen auch israelische Historiker. Als der israelische Regierungschef Netanjahu behauptete, dass der Mufti Hitler zum Holocaust überredet habe, haben auch israelische Experten des Nazi-Genozids das sofort in das Reich der Lüge verwiesen.
Ilan Pappe beurteilt die politische Rolle des Mufti folgendermaßen: „Sobald man die Charakterisierung des Zionismus als koloniale Siedlerbewegung und der palästinensischen Nationalbewegung als antikolonialistische Bewegung akzeptiert, erscheinen das Verhalten und die Politik des Führers der palästinensischen Gemeinschaft, Hadj Amin Al-Husseini, vor und während des Zweiten Weltkrieges in einem anderen Licht. Viele Leser in Deutschland werden wissen, dass sich eine geläufige, von Israel endlos propagierte Anschuldigung gegen die Palästinenser auf die Beobachtung stützt, dass Al-Husseini ein Sympathisant der Nazis war.“ Bei deutschen Israelanhängern wird er gern dafür instrumentalisiert, dass der palästinensische Widerstand gegen die israelische Unterdrückung antisemitische Motive hat, was natürlich unsinnig ist, denn dieses Volk kämpft um seine Freiheit und seine Selbstbestimmung. Ein Antisemitismus mit einem rassistischen Hintergrund spielt bei den Palästinensern keine Rolle.
Die arabischen Juden
Ich möchte zum Schluss noch auf die Behauptung der Ausstellung eingehen, dass die in den arabischen Ländern lebenden Juden nach dem Krieg von 1948/49 aus ihrer Heimat vertrieben worden seien. Auch das ist ein Mythos, eine Legende. Ich beziehe mich bei diesem Thema auf zwei gewichtige Stimmen jüdischer Historiker: John Bunzl (Wien) und Tom Segev (Jerusalem). Unabhängig voneinander sind sie zu demselben Ergebnis gekommen.
Israel befand sich nach seinem Sieg im Krieg von 1948/49 in einer prekären Situation. Es hatte nicht genug Menschen, um die eroberten Gebiete besiedeln zu können. Denn die Juden, die eigentlich aus Europa kommen sollten, waren zumeist dem Holocaust zum Opfer gefallen. Israel unternahm deshalb alles, um die Juden aus den arabischen Ländern ins Land zu holen. Es wurden Agenten in diese Länder geschickt, die auch viel Geld an die dortigen Herrscher bezahlten, um die Juden, denen die Zionisten große Versprechungen machten, abziehen zu lassen. Dass die sozialistisch orientierten Regierungen in Israel , die zumeist aschkenasischer, also europäischer Herkunft waren, ihre Versprechen nicht einhielten und diese Menschen wegen ihrer angeblich geringen Kultur verachteten und diskriminierten, ist kein Geheimnis. Dieser Zustand besteht im Grunde bis heute fort. Die orientalischen Juden sind nie richtig in die israelische Gesellschaft integriert worden.
Damit sind wir bei der heutigen politischen Krise Israels, in der die arabischen Juden eine entscheidende Rolle spielen. Erst der erste rechte Ministerpräsident Israels, Menachem Begin, (selbst aschkenasischer Herkunft) hatte sich der Interessen dieser ethnischen Gruppe angenommen und konnte so Wahlen gewinnen. Sein späterer Nachfolger, der heutige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, hat es in äußerst raffinierter und manipulativer Weise geschafft, die Ressentiments dieser Menschen, die sich von den früheren sozialistischen Regierungen verlassen und verraten fühlten, für seine Zwecke zu nutzen, und sich auf sie stützend seine Macht auszubauen, obwohl er ihre sozial-ökonomische Lage bisher kaum verbessert hat.
Aber die arabischen Juden wählen heute die Schas-Partei oder Netanjahus Likud. Zusammen mit den Nationalreligiösen und den Ultraorthodoxen bilden sie die nationalistische und ultrareligiöse Koalition, die das Land regiert und dabei ist, mit einer sogenannten Justizreform den israelischen Staat völlig umzukrempeln. Viele Israelis sprechen sogar von einem Staatsstreich, der da gerade stattfindet und der Gefahr einer faschistischen Apartheiddiktatur, die da im Entstehen sei. Die arabischen Juden spielen in dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. Wohin die politische Reise in Israel geht, wissen wir noch nicht, auf jeden Fall verspricht sie nichts Gutes. Das schöne und idyllische Bild, das uns die Ausstellung von diesem Staat vermittelt, das kann man mit Bestimmtheit sagen, stimmt aber vorn und hinten nicht.
Literatur, die die Behauptungen der Ausstellung „1948. Wie der Staat Israel entstand“ widerlegt
Bunzl, John: Juden im Orient. Jüdische Gemeinschaften in der islamischen Welt und orientalische Juden in Israel, Wien 1989
Finkelstein, Israel/ Silberman, Neil A.: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit der Bibel, München 2002, Neuauflage 2023
Finkelstein, Norman G: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Mythos und Realität, Kreuzlingen/ München 2002
Flapan, Simcha: Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit, München 2008
Grant, Michael: Das Heilige Land. Geschichte des Alten Israel, Bindlach 1990
Halper, Jeff: Ein Israeli in Palästina. Israel vom Kolonialismus erlösen, Berlin 2010
Hollstein, Walter: Kein Frieden um Israel. Zur Sozialgeschichte des Palästina-Konflikts, Frankfurt/ Main 1972 (Neuauflage 1984)
Inamo: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten, Nr. 54
Pappe, Ilan: Die ethnische Säuberung Palästinas, Frankfurt/ Main 2007
Ders.: Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus, Neu Isenburg 2016
Polkehn, Klaus: Damals im Heiligen Land. Reisen in das alte Palästina, Berlin 2005
Rose, John: Mythen des Zionismus. Stolpersteine auf dem Weg zum Frieden, Zürich 2006
Said, Edward: Zionismus und palästinensische Selbstbestimmung, Stuttgart 1981
Sand, Shlomo: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2010
Segev, Tom: Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates, München 2008
Ders.: David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis, München 2018
Shlaim, Avi: The Iron Wall. Israel and the Arab World, New York 2014
Waltz, Viktoria/ Zschiesche, Joachim: Die Erde hab Ihr uns genommen, Berlin 1986
Zambon: Palästina. Ethnische Säuberung und Widerstand, Frankfurt/ Main 2011
Zuckermann, Moshe: Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang bereitet, Wien 2014