Warnende Worte vor einem Armageddon im Nahen Osten

Was der verstorbene israelische Publizist Uri Avnery über einem möglichen Krieg der USA und Israels mit dem Iran schrieb

Die Kriegsgefahr im Nahen Osten ist durch die Ermordung des iranischen Generals Suleimani durch die USA noch nie so groß und bedrohlich gewesen wie in diesen Tagen. Israels Politiker sind seit Jahren zu einem solchen Krieg wild entschlossen, ihnen kann es gar nicht schnell genug damit gehen. Regierungschef Netanjahu forderte immer wieder den Angriff auf den Iran. Der frühere Verteidigungsminister Moseh Yaalon schloss sogar einen Einsatz mit Atomwaffen gegen diesen Staat nicht aus. Der prominente israelische Historiker Ben Morris war auch das noch nicht genug. Er befürwortete sogar einen „nuklearen Genozid“ gegen den Iran.

Konnte der frühere US-Präsident Barack Obama – aus welchen Gründen auch immer – die israelische Kriegsentschlossenheit noch bremsen, betreibt das äußerst provokative, aggressive und völlig irrationale Vorgehen seines Nachfolgers Donald Trump den Weg für ein Armageddon im ganzen Nahen Osten. Was nicht verwundert, denn die Nahost-Politik der USA und Israels verläuft ohnehin völlig synchron.

In einer solchen brandgefährlichen Situation ist es angebracht, sich der warnenden Einschätzung des großen israelischen Publizisten Uri Avnery zu erinnern, der im August 2018 gestorben ist. Seine Analysen haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Er konstatiert zunächst, dass die iranischen Mullahs nicht die im Westen so dargestellten „unberechenbaren, irrational handelnden“ religiösen Eiferer, sondern „sehr nüchtern denkende Politiker“ sind – „vorsichtige Kaufleute im Stil des Basars“. Jede Dämonisierung sei grundfalsch. Mit anderen Worten: Sie vertreten sehr rational ihre nationalen Interessen, ohne unnötige Risiken auf sich zu nehmen. Was einzig zählt, so Avnery, ist die Geographie.  Eine Einschätzung, die im Übrigen auch der deutsche Nahost-Experte Michael Lüders teilt:  Die iranische Politik sei nicht von religiösem Wahn bestimmt, sondern von der nüchternen Wahrnehmung der Interessen des Landes. Eine demokratische Regierung im Iran würde nicht anders handeln als die zurzeit regierenden Mullahs.

Die israelische Politik ist besessen von der paranoiden Idee, dass die Iraner nur auf ein Ziel zusteuern: Atombomben bauen und Israel damit zerstören. Eine Befürchtung, die der israelische Regierungschef Netanjahu immer wieder geäußert und als Begründung für seine kriegerischen Absichten gegen den Iran angeführt hat. Für ihn und Israels politische Elite ist das reine „Selbstverteidigung“. Avnery bezeichnet das als den „Alptraum eines ignoranten Dilettanten“. Gerade weil die iranischen Führer „hartgesottene Realisten“ seien, würden sie niemals ein solches Risiko eingehen, denn sie wüssten sehr genau über die israelische Atommacht Bescheid und deren Fähigkeit zum sofortigen Zweitschlag, der die 3000 Jahre alte persische Kultur vom Gesicht der Erde auslöschen würde.

Deshalb hatte Avnery auch keine Angst vor der iranischen Atombombe. Sie würde nicht das Ende Israels bedeuten, sondern ein „Gleichgewicht des Schreckens“ schaffen, wie damals, als es die Welt auf der Höhe des kalten Krieges zwischen Amerika und der Sowjetunion   gerettet hätte. Avnery findet ein solches Szenario höchst unerfreulich, sieht darin aber keine existentielle Bedrohung Israels. Er fragt: „Kann man sich vorstellen, dass die gegenwärtigen Führer des Iran nur daran denken, die Existenz ihres Landes aufs Spiel zu setzen? Er antwortet: „Diese Vorstellung, allein aus purem Hass auf Israel geboren, ist lächerlich.“

Für die Dämonisierung der iranischen Führung sieht Avnery also nicht den geringsten Anlass: „Dafür gibt es absolut keinen Beleg. Seit ihrer Revolution 1979 hat die iranische Führung nicht einen einzigen bedeutenden Schritt getan, der nicht absolut vernünftig war. Verglichen mit den amerikanischen Fehltritten in der Region (von den israelischen ganz zu schweigen), ist die iranische Führung völlig logisch gewesen.“ Man darf an dieser Stelle ergänzen: Seit Monaten bombardieren die Israelis in Syrien und im Irak iranische militärische Einrichtungen mit hohen Verlusten an Menschen und Material. Wo war die „Rache“ der Iraner?

Avnery erinnert im Zusammenhang mit Vorwürfen einer iranischen „Expansion“ in die Nachbarländer daran, dass es die USA gewesen seien, die – „geführt von einem Haufen neokonservativer Narren“ – 2003 den Irak zerstört hätten, der viele Jahrhunderte lang der arabischen Welt als Bollwerk gegen die iranische Ausdehnung gedient habe. Erst durch die amerikanische „Hilfe“ [der Zerstörung des Irak] habe der Iran sein Einflussgebiet erweitern können.

Es gibt – so Avnery – zwischen dem Iran und Israel im Grunde keine Interessenkonflikte, also etwa um Grenzen oder Ressourcen. Was ist dann der Grund für den Hass? Avnery schreibt: „Der Hass auf das ‚zionistische Regime‘ – den Staat Israel – hängt mit dem Schicksal des palästinensischen Volkes zusammen. Das Gefühl der Solidarität mit den hilflosen Palästinensern ist bei allen islamischen Völkern tief verwurzelt. Es ist ein Teil der populären Kultur bei ihnen allen. Sie ist ganz real, auch wenn die politischen Regime diese Solidarität missbrauchen, manipulieren oder auch ignorieren. Da es keinen Grund für einen spezifischen Hass gegen Israel gibt, gründet sich dieser nur auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Was heißt: Kein Konflikt – keine Feindschaft.“

Avnery hat sehr genau die Konsequenzen abgewogen, die ein amerikanisch-israelischer Angriff auf den Iran bedeuten würde: „Die erste Reaktion würde das Blockieren der Meerenge von Hormuz sein, die enge Durchfahrt, durch die fast alles saudisch-arabische Öl und das der anderen Golfstaaten, des Irak und des Iran, fließt. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft würden katastrophal mit unvorstellbaren Preiserhöhungen sein. Raketen aller Arten und Ursprünge würden vom Iran, der Hisbollah und der Hamas auf Israel herabregnen. Das Leben von uns allen würde in Gefahr sein. Die ganze Region wie auch die Weltwirtschaft würden ins Chaos geraten, für das jeder Israel anklagen würde. Und das würde nur der Anfang sein…“

Uri Avnerys Texte waren eine einzigartige und unersetzliche Stimme der Vernunft und der Humanität in von politischer Hysterie und Kriegsstimmung bestimmten Zeiten.

8.01.2020