Martialisches Erinnern

Kampfjets der Bundeswehr und Israels betreiben gemeinsam „Holocaust-Gedenken“ am Himmel über Deutschland

In jedem Jahr am Holocaustgedenktag (27. Januar) donnern israelische Kampfjets über das frühere Vernichtungslager Auschwitz, während israelische Schulkinder unten zwischen den Baracken Fahnen mit dem Davidstern schwenken und Treuschwüre für ihren Staat ablegen. Was dort im ehemaligen KZ alljährlich stattfindet – ein emotionsgeladenes und symbolträchtiges Ritual – hat der israelische Historiker und Holocaustforscher Saul Friedländer als „Vereinigung von Kitsch und Tod“ bezeichnet. Und sein israelischer Kollege Tom Segev ergänzt: „Diese Veranstaltungen verströmen statt Offenheit und Menschenliebe Isolationismus bis hin zur Fremdenfeindlichkeit.“

Ein solches martialisches Militär-Schauspiel wird nun auch im Himmel über Deutschland stattfinden. Kampfjets der Bundeswehr und Israels werden über Fürstenfeldbruck im Gedenken an die Opfer des Olympiamassakers 1972 und über das ehemalige Konzentrationslager Dachau donnern, während unten am Boden Kränze niedergelegt und auch israelische Fahnen geschwenkt werden. Das Ganze soll – so der deutsche Luftwaffenkommandeur Ingo Gerhartz – ein bewegendes Zeichen unserer Freundschaft und ein Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus sein.

Diese Worte und das geplante militärische Schauspiel am Himmel belegen die ganze Fragwürdigkeit des deutsch-israelischen Verhältnisses. Man kann grundsätzlich aus guten Gründen gegen solche militärischen Demonstrationen sein, die dem Frieden eher abträglich sind, in diesem Fall kommt aber etwas Besonderes hinzu: Wie kann es ein gemeinsame Auftreten der Bundeswehr mit der Armee eines Staates geben, der seit Jahrzehnten ein brutales Besatzungsregime über vier Millionen Palästinenser in den besetzten Gebieten aufrechterhält und die Palästinenser im Kernstaat als Menschen zweiter oder dritter Klasse in schlimmer Weise diskriminiert? Anders gesagt: Mit dem Staat Israel gibt es keine gemeinsamen Werte, die einen Auftritt beider Armeen rechtfertigen können, denn Israel ist ein Staat der Okkupation und Repression – und seine Armee ist das ausführende Organ dieser völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Politik.

Der israelische Sozialwissenschaftler und Philosoph Moshe Zuckermann hat diesen Sachverhalt schon vor Jahren deutlich gemacht und auch eine Beziehung zum Holocaust hergestellt: „Das jüdische Kollektiv im Staat Israel ist es, welches der Konfrontation mit der entsetzlichen Wahrheit nicht entkommen kann, dass jede ‚Abnormität‘ im Gazastreifen, jedes Opfer eines ‚Schusses in die Luft‘ in der Westbank, jeder Akt brutaler Repression, der sich direkt oder indirekt aus dem Tatbestand der israelischen Okkupation ableitet, es – das jüdische Kollektiv in Israel – von der sittlich-humanen, ihm von den Holocaust-Opfern als verpflichtendes Erbe auferlegten Identität entfernt, um es in zunehmenden Maße an eine der Mörder-Identität verschwisterten Mentalität zu ketten. Es irrt, wer den Spruch ‚Meine Vernunft ist in Auschwitz verbrannt‘ zur Rechtfertigung einer jeden Untat des israelischen Staates heranzieht: Nicht seine Vernunft, sondern seine Sittlichkeit ist dort verbrannt.“

Diese Sätze Zuckermanns werfen grundsätzliche Frage nach dem dem Holocaust angemessenen Erinnern auf. Es ist kein Geheimnis, dass Israel dieses Mega-Verbrechen für seine politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ziele instrumentalisiert, was eine Verflachung, Banalisierung und Ideologisierung des Gedenkens an dieses Verbrechen und seine Opfer zur Folge hat. Das ritualisierte Andenken geht heute so weit, dass es auch die neuen Opfer, die Israels Politik permanent produziert, rechtfertigen muss. Die israelischen Kampfjets, die jetzt am deutschen Himmel „Gedenken“ zelebrieren, haben vermutlich gestern oder vorgestern noch ihre mörderische Last über dem eingeschlossenen Gazastreifen abgeworfen. Werden sich demnächst deutsche Kampfjets – natürlich auch im Namen des Holocaust – an diesem tödlichen Spiel über dem Himmel von Gaza beteiligen?

Die Lehre von Auschwitz kann nur eine universalistische sein: Nie wieder Krieg, nie wieder Lager, nie wieder Repression, Besatzung und Diskriminierung. Eine Politik des Gedenkens in diesem Sinne braucht keine martialischen militärischen Beweise von Kraft und Stärke am Himmel oder auf dem Boden. Die Opfer des Massenmords würden – wenn sie sich denn äußern könnten – mit Ekel und Abscheu von solchem Gehabe auf Distanz gehen.

14.08.2020