Wenn die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und Zeugenaussagen sich bestätigen sollten, dann hat der jüdische Sänger Gil Ofarim den Deutschen einen bösen Streich gespielt. Da hat er von dem Hotelpersonal an der Rezeption in Leipzig behauptet, es hätte ihn aufgefordert, seinen Davidstern, den er an einer Kette um den Hals trug, abzunehmen, wenn er im Haus ein Zimmer bekommen wolle. Wie sich jetzt herausstellte (es sei mit aller Vorsicht gesagt, da die Ermittlungen noch andauern), war das wohl eine glatte Lüge. Ofarim flüchtet sich auch schon in rettende Ausflüchte. Er trüge den Davidstern eigentlich immer. Es könne aber sein, dass er ihn an jenem Tag nicht umgehabt hätte, aber das Hotelpersonal kenne ihn sicher von Bildern und dem Fernsehen und habe deshalb so reagiert…
Die ganze Episode ist sehr bezeichnend für die deutsche Gegenwart und ihre Aufarbeitung der Vergangenheit. Da muss ein jüdischer oder israelischer Sänger nur „Antisemitismus“ schreien und die große Mehrheit im Land – vor allem die Mainstream-Medien – greifen den angeblichen Eklat sofort auf und verurteilen den angeblich immer weiter um sich greifenden Antisemitismus hierzulande. Weiterführende Fragen werden gar nicht erst gestellt.
Niemand hat die Aussagen Ofarims ernsthaft in Zweifel gezogen und erst einmal eine genaue Untersuchung des Vorfalls abgewartet. Ofarim ist natürlich die deutsche Schuldhaltung bewusst, und er hat keine Skrupel, sie zu instrumentalisieren. Ein Antisemitismus- Aufschrei wie der von ihm in Leipzig kann ja durchaus helfen, diesem nicht gerade in der ersten Promi-Reihe stehenden Sänger die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die er sonst nicht hat.
Die deutsche Reaktion, auf den Leipziger Zwischenfall, die so gut wie einheitlich war, hat aber wieder einmal gezeigt, wie wenig man in Wirklichkeit gelernt hat, mit der eigenen Schuld souverän umzugehen. Oder: Wie wenig sie aufgearbeitet ist. Denn man glaubt offenbar immer noch, mit einer Überidentifizierung mit Juden eine Schuldabtragung – mithin eine selbsterteilte Vergebung – erreichen zu können: „Wenn man selbst Jude sein darf (oder sich mit ihnen überidentifiziert) ist man nicht mehr ‚Täter‘, sondern ‚Opfer‘, hat somit etwas nagend Quälendes an sich selbst wiedergutgemacht“, diagnostiziert der Israeli Moshe Zuckermann diese deutsche Befindlichkeit. Diese deutsche Demutshaltung kommt in der Reaktion auf den Eklat Gil Ofarims genauso zum Ausdruck wie in der offiziellen deutschen Politik gegenüber Israel – etwa Angela Merkels Aussagen „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson“.
Dass bei einer solchen Sicht die Realität völlig aus dem Blick gerät, ja man sie gar nicht sehen will, hat (wie bei so vielen anderen Fällen auch) der Vorfall mit Gil Ofarim in Leipzig deutlich demonstriert. Die jüdische oder israelische Seite ist offenbar immer im Recht, da braucht man gar nicht nachfragen, denn alles andere wäre ja „Antisemitismus“. Der junge Mann wollte, so muss man sein Verhalten wohl deuten, zum eigenen Vorteil kräftig auf der Klaviatur der deutschen Schuldgefühle spielen, er hat aber ganz offensichtlich mit falschen Noten gespielt. Dem Kampf gegen den Antisemitismus hat er damit einen Bärendienst erwiesen.
18.10.2021