Der israelische Psychologe Benjamin Beit-Hallahmi schaute an einem Aprilabend im Jahr 1976 wie auch sonst an anderen Abenden die Nachrichtensendung des israelischen Fernsehens an. Was er da sah, haute ihn fast aus seinem Sessel heraus. Er konnte es nicht fassen: Balthasar Johannes (John) Vorster, Ministerpräsident des Apartheidstaates Südafrika und bekennender Nazi, weilte zum Staatsbesuch in Israel und durfte sogar in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem einen Kranz niederlegen.
Beit-Hallahmi war sprachlos vor Entsetzen: Dass der israelische Außenminister Jigal Allon die Taktlosigkeit besaß, einen aktenkundigen Nazi-Kollaborateur zu einer Gedenkstätte für die Opfer des Nazismus zu führen! Es war nicht nur die Taktlosigkeit, die ihn störte, er hatte vielmehr das unheimliche Gefühl, Zeuge einer Inszenierung zu sein, durch die das Unerhörte in Realität verwandelt wurde. Dann wurde ihm klar: Vorster in der Holocaust-Gedenkstätte! Was für eine Selbstdarstellung Israels! Vielleicht zeigt Israel hier sein wahres Gesicht, schrieb er später. Man muss aktuell hinzufügen: Heute gehen Antisemiten – Politiker rechtsextremer Parteien aus Europa und der Welt, die offiziell eingeladen wurden – in Yad Vashem aus und ein, und niemand regt sich mehr darüber auf!
Beit-Hallahmi hatte das Gefühl, auf ein zutiefst symbolisches Bild gestoßen zu sein. Er stellte sich selbst die Frage: „War dieses surreale Bild auf dem Fernsehschirm nur eine vorbeiziehende Wolke am blauen Himmel des Zionismus, oder war es Bein vom Bein, Fleisch von seinem Fleisch? War es eine Verwirrung oder war es Symptom einer tieferliegenden, bedeutsamen Wahrheit?“ Er beschloss, sich um die Entschlüsselung der in dem Fernsehbericht verborgenen Botschaft zu bemühen, nicht eher zu ruhen, bis er dem Geheimnis der israelisch-südafrikanischen Beziehungen auf den Grund gekommen sei. Das Ergebnis seiner Recherchen war das Buch The Israeli Connection (deutsch: Schmutzige Allianzen. Die geheimen Geschäfte Israels, München 1987) Dass der Autor bei der Veröffentlichung seines Werkes in Israel größte Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde bekam, versteht sich von selbst.
In diesem Buch enthüllte Beit-Hallahmi, dass Israel rücksichts- und skrupellos Bündnisse und Allianzen mit Staaten der Dritten Welt einging – auch den grausamsten Diktaturen, wenn es seinen Interessen diente. Er versuchte die Frage zu beantworten, inwiefern dieses Engagement mit der Geschichte des Zionismus und des Staates Israel zusammenhängt. Er wollte vor allem Antworten auf die folgenden Fragen finden: Liegt diesen disparaten Aktivitäten eine durchdachte Gesamtstrategie zu Grunde, eine kohärente Weltanschauung? Wenn ja, was sind ihre Wesensmerkmale?
Es kann hier nicht auf die gesamten Beziehungen Israels zur Dritten Welt eingegangen werden, da Südafrika im Mittelpunkt stehen soll. Es sei aber so viel gesagt: Israel hat „systematisch und mit großem und ernst gemeintem Engagement gewisse Regime in der Dritten Welt unterstützt.“ Es wurden aber nur sehr wenige Einzelheiten über dieses Engagement der Mitwelt bekannt, was zur Folge hatte, dass das Ausmaß der Verstrickungen systematisch unterschätzt wurde.
Den Teil des Buches über Israels Kooperation mit Südafrika versah Beit-Hallahmi bezeichnenderweise mit der Überschrift: „Das Bündnis der einsamen Wölfe“. Er charakterisierte dieses Verhältnis so: „Die Geschichte der Partnerschaft zwischen Israel und Südafrika sucht auf Erden ihresgleichen. Israel hat sich in Südafrika mit Haut und Haaren engagiert, mit höherem Einsatz und Aufwand als irgendwo sonst, und es hat sich zu einer wichtigen – und zunehmend unentbehrlichen – Stütze für den Fortbestand des Apartheid-Regimes entwickelt. Dieses Bündnis zwischen Südafrika und Israel gehört zu den bestgehüteten Tabus in der Medienberichterstattung der letzten Jahrzehnte. (…) Die Geschichte des Staates Israel kennt keine vergleichbare Liaison von solcher Intimität und Dauer.“
Südafrika wurde der wichtigste Bündnispartner Israels neben den USA. Nach dem Israel-Besuch von Staatspräsident Pieter Willem Botha erklärte der Fernsehkommentator Victor Nahmias im israelischen Fernsehen: „In dieser Beziehung gibt es viel mehr Verborgenes als Bekanntes.“ Für Premierminister Vorster war Israel auch damals schon ein Apartheidstaat. Er bekannte 1971 freimütig: Israel stehe nunmehr vor einem eigenen Apartheid-Problem – im Umgang mit seinen arabischen Einwohnern. Beide Völker seien gewillt, eher zu kämpfen als ihr Schicksal in die Hände einer sie umschließenden Mehrheit zu legen.
Geheimbesuche der führenden Politiker beider Staaten im jeweils anderen Land waren an der Tagesordnung. Der israelische Botschafter in Pretoria Itzhak Unna bekannte: „Man muss sehen, dass Südafrika besondere Werte für die freie Welt verkörpert. (…) Es wäre eine Katastrophe, wenn Südafrika als konstruktives und aktives Mitglied der Gemeinschaft der freien Völker verlorengehen würde.“ Wohl deshalb („Verteidigung der Freiheit“!) war die Zusammenarbeit in der „Aufstandsbekämpfung“ besonders eng. Israelische Offiziere brachten in Südafrika weißen Offizieren und Soldaten bei, wie man die aus den Kämpfen gegen die Palästinenser gesammelten Erfahrungen und entwickelten Methoden zur Bekämpfung „schwarzer Terroristen“ anwendet. Mit diesem aus Israel importierten militärischen Wissen gingen die weißen Südafrikaner gegen die Schwarzen im eigenen Land und gegen die Befreiungsbewegungen in Lesotho, Angola, Namibia und Mosambik vor.
Die Zusammenarbeit auf allen Gebieten – Wirtschaft, Handel, Militär, Geheimdienste, Kultur, Tourismus – war äußerst intensiv, vor allem aber kooperierte man in der Weiterentwicklung der Nukleartechnik, wobei atomaren Waffen eine besondere Rolle zukam. In Israel war die Anschaffung von Atomwaffen ein Teil der „Überlebensstrategie“, damit der zionistische Staat nicht das „Schicksal der Kreuzfahrer“ erleiden sollte, hatte der erste israelische Ministerpräsident Ben Gurion gesagt. Die Motive Israels und Südafrikas, Atomwaffen zu besitzen, waren sehr ähnlich. Es ging nicht nur um das eigene Überleben, sondern man wollte im schlimmsten Fall Vergeltung gegen die siegreichen Feinde üben.
Beide Staaten sahen sich einer feindlichen Umgebung gegenüber, hatten wenig Freunde und Verbündete und wollten, falls ihre Abschreckung versagte, Rache androhen können, schreibt Beit-Hallahmi und fügt hinzu, dass das Ausmaß der atomaren Zusammenarbeit so eng war, dass alle Details dieser Kooperation wohl niemals ans Licht kommen werden. Der Atomreaktor von Dimona in Israel wurde großenteils mit Uran aus Südafrika betrieben.
Auch ideologisch lagen beide Staaten auf einer Linie, anders wäre die enge Allianz gar nicht möglich gewesen. Obwohl es in Südafrika starke antisemitische Strömungen gab, hegte die weiße Elite – Abkömmlinge von Pro-Nazi-Ideologen – die größte Bewunderung für Israel. Dazu kam, dass Israelis und weiße Südafrikaner sich als weiße europäische Völker empfanden, die ihre Nationen auf einem Territorium begründet hatten, das von einer feindlich gesinnten, nicht europäischen Bevölkerungsmehrheit bewohnt wird. Beide Staaten fühlten sich deshalb auch in derselben Weise bedroht. Dazu kam, dass sie ähnliche religiöse Vorstellungen hatten, das heißt, sich als „erwählte Völker“ fühlten und als „Vorposten der freien Welt“ in einer Umwelt von Barbaren. Da beide Staaten aber ein Image-Problem wegen ihrer Apartheid-Politik hatten, arbeiteten sie auch auf dem Gebiet der Propaganda zusammen, um der Kritik an ihnen entgegenzuwirken, wobei die israelische Propaganda (Hasbara) für die weißen Südafrikaner Vorbildcharakter hatte.
Den Kern der Zusammenarbeit beider Staaten beschreibt Beit-Hallahmi so: „Wenn die israelische Überlebensstrategie darauf angelegt ist, jeder wirklichen Entkolonialisierung entgegenzuwirken und sich selbst eine nukleare Option zu eröffnen, dann spielt Südafrika im Hinblick auf diese beiden Ziele eine wichtige Rolle. Indem Israel Südafrika bei seinem Versuch der Selbstbehauptung unterstützt, bremst es die Entkolonialisierung; dafür hilft Südafrika Israel bei der Entwicklung nuklearer Kapazitäten und erhält seinerseits nukleare Entwicklungshilfe von Israel.“
Der Autor schätzte damals die Zukunft beider Staaten (er schrieb sein Buch in den 70er Jahren) als düster ein: Was auch immer die beiden tun würden – das Motiv wäre in beiden Fällen Verzweiflung. Die Erkenntnis, dass die Zeit gegen sie arbeite, habe sie zu Strategien und Handlungsweisen Zuflucht nehmen lassen, die von einem nihilistischen Zu-Allem-Entschlossensein zeugten. Beide forderten Härte gegenüber dem „Terrorismus“. Sie verstanden darunter die nationalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Und sie glaubten fest daran, dass sie ihr Überleben nur mit rücksichtsloser Härte sichern könnten.
So unterstützte Israel das südafrikanische Apartheidregime auch mit allen Mitteln, als es in die Krise geriet. Israelische Experten für „Aufstandsbekämpfung“ versuchten, die Vorherrschaft der Weißen zu retten. Das Interesse der israelischen Führung am Überleben des Apartheidregimes war existenzieller Natur: Es war ein wirkliches Sich-Identifizieren mit einem für das Überleben des eigenen Landes unverzichtbaren Partner. So konnte es nicht verwundern, dass das Ende des Apartheidregimes für Israel die absolute Katastrophe war. Israel verlor damit – abgesehen von den USA – seinen wichtigsten Partner.
Beit-Hallahmi knüpft an seine Ausführungen über die Allianz Israel-Südafrika einige Anmerkungen über den Zionismus an, die auch heute noch von höchster Aktualität sind: „Dabei waren dem Zionismus von Anfang an, insbesondere was den Umgang mit der Dritten Welt betraf, einige unübersehbare und unausweichliche ideologische Festlegungen inhärent. Kernpunkt des zionistischen Programms war die Begründung eines souveränen jüdischen Staatswesens in Palästina durch Besiedlung und Ausübung politischer Herrschaft. Der Zionismus trug damit gleichsam per definitionem die Momente der Vergewaltigung einer eingeborenen Bevölkerung und der Konfrontation mit der Dritten Welt in sich. Die Konfrontation zwischen Israel und der Dritten Welt begann nicht in Mittelamerika oder Südafrika und nicht erst vor zehn Jahren. Sie begann vor einem Jahrhundert mit den ersten zionistischen Siedlungsversuchen auf palästinensischem Boden. Sie begann nicht in Managua oder Manila, sondern im Nahen Osten. Wie hätten die Israelis aus ihrer kolonialistischen Haut schlüpfen und sich in der Welt draußen anders verhalten sollen als ‚zu Hause‘, im Nahen Osten?“
Diese kolonialistische Sicht, die natürlich auch der Apartheidstaat Südafrika teilte, prägt auch heute noch die israelische Politik. Die Identifizierung mit der weißen südafrikanischen Elite war nicht zufällig, denn beide Regime führten Krieg gegen ihre „Eingeborenen“, Israel tut das immer noch. Daraus folgt, dass auch heute noch die Menschenrechte in Israel ein Problem von so großer Brisanz sind. Beit-Hallahmi schreibt: „Daher kann der Zionismus sich eine moralische Selbstanalyse nicht leisten. Das Unrecht, das den Palästinensern angetan wird, liegt so klar auf der Hand, dass man, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, das Thema als solches tabuisieren muss.“
Daher kämen die Israelis, wenn sie wirklich moralische Maßstäbe in der Politik anlegen würden, ob in Israel selbst oder in der Welt, automatisch auf die Unterdrückung der Palästinenser zu sprechen und müssten dann auch nach der moralischen Berechtigung des Zionismus fragen. Und deshalb erklärt man Menschenrechtsfragen lieber zum Tabu. Wer sie dennoch aufgreift, gilt als „Verräter“. So gesehen waren die Beziehungen zwischen Israel und Südafrika exemplarisch. Beide Systeme, die eine so enge Interessengemeinschaft eingingen, galten als Symbole eines anachronistischen Siedlerkolonialismus. Das südafrikanische Apartheidsystem ist schon zusammengebrochen. Der Autor schreibt über die Zukunft Israels: „Sie ist angesichts der zunehmenden Macht seiner Feinde so unsicher, dass es in der Wahl seiner Mittel nicht wählerisch sein zu können glaubt. Klar ist, dass Israel nur überleben kann, wenn und solange die globale Vorherrschaft der Ersten Welt [das heißt: der USA] fortbesteht; es muss Israel somit alles daran gelegen sein, dass diese Vorherrschaft erhalten bleibt.“
Israels Existenz ist nach Auffassung Beit-Hallahmis also daran gebunden, dass in der Welt von heute, ein Kreuzzugs-System noch überleben kann. Die Mehrheit der Menschen in Südafrika hat das Gegenteil bewiesen: Dass Apartheid auf die Dauer keine Überlebenschancen haben kann. Wenn das neue demokratische Südafrika – bei allen Problemen, die es im eigenen Land hat – sich auf die Menschenrechte, das Völkerrecht und das Kriegsrecht beruft und Israel wegen des Genozids im Gazastreifen vor dem Internationalem Gerichtshof anklagt, dann ist das nicht zuletzt eine Vergeltung oder eine moralische Wiedergutmachung dafür, dass die Israelis Jahrzehnte lang alles versucht haben, das die Mehrheitsbevölkerung unterdrückende Apartheidsystem zu stützen und zu retten, also eine Politik im südlichen Afrika zu betreiben, die sie selbst im eigenen Land und in den besetzten palästinensischen Gebieten mit schrecklicher und unmenschlicher Konsequenz praktizieren. Nelson Mandela wusste sehr genau, was er sagte, wenn er die Beziehung zwischen seinem Land und Israel in Zeiten der Apartheid in seiner Heimat so kennzeichnete: „Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser ist.“
12.03.2024