Die Mauer als Symbol des Scheiterns

Der Bau solcher Bollwerke hat zur Zeit Hochkonjunktur/ Israels „Sperranlage“ als abschreckendstes Beispiel

Mauern sind wieder „in“. Hatte man 1989 beim Fall der Berliner Mauer geglaubt, das Zeitalter der Mauern sei mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Einreißen des Eisernen Vorhanges endgültig vorbei, so war das ein großer Irrtum. Obwohl die Welt durch überstaatliche Institutionen, globalen Handel, digitale Kommunikation und Massentourismus „entgrenzt“ worden ist, erlebt der Mauerbau schon seit Jahren eine Renaissance. Man denkt beim Nennen des Begriffs Mauer natürlich zuerst an Donald Trump und sein Mega-Vorhaben, die US-Grenze zu Mexiko mit einer monumentalen Sperranlage zu versehen. Aber das ist – neben Israels Mauer durch das Westjordanland und (zusammen mit Ägypten als Partner) um den Gazastreifen – nur das auffälligste Projekt. Insgesamt gibt es gegenwärtig 70 aus politischen Gründen errichtete Mauern auf der Welt – die immateriellen, also unsichtbaren gar nicht mitgezählt wie etwa die Mauer um die „Festung Europa“, die einen weiteren Zustrom von Migranten verhindern soll.

Das Motiv, Mauern zu bauen, ist immer dasselbe: „Sicherheit“ schaffen. Genau gesagt: eine gefühlte Sicherheit vor einer gefühlten Bedrohung, denn die Globalisierung, die weltweiten Kapitalflüsse, die digitale Vernetzung und der Zuzug von Geflüchteten und Migranten lösen offensichtlich Ängste vor der Bedrohung der individuellen und kollektiven (nationalen) Identität aus, die man glaubt, nur durch Abschottung – also das Errichten von Mauern – überwinden zu können. Schon im Jahr 2009 hatte die amerikanische Politologin Wendy Brown ein sehr kritisches Buch über das Phänomen Mauer geschrieben („Mauer. Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität“), das jetzt in Deutschland wegen der Aktualität des Themas eine Neuauflage erlebt hat.

Unter Berufung auf Sigmund Freud argumentiert Brown, dass Identität im Wortsinn von Selbstdefinition eine Grenze darstellt, die etwas einschließt und damit etwas anderes automatisch ausschließt: „Mauern, die um politische Gebilde herum errichtet werden, können nicht abwehren, ohne zugleich einzusperren. Mauern können kein äußeres „sie“ definieren, ohne ein reaktionäres ‚wir‘ zu produzieren.“ Ausgrenzung bedeutet also immer auch Einsperrung.

Aber die Hauptthese Browns ist (wie der Titel besagt), dass den Nationalstaaten in einer entgrenzten Welt die Souveränität abhandenkommt, und viele deshalb aus politischer Hilflosigkeit heraus Mauern und Zäune errichten, als Beruhigungspille sozusagen. Dass Beton und Stacheldraht ein Hohn auf die Demokratie sind, versteht sich für die Autorin von selbst. Sie beklagt, dass durch Mauern die humanistische und speziell die demokratische Idee von Sprache, Erkenntnis, Recht und Freiheit als Kennzeichen des spezifisch Menschlichen durch stumme Barrieren ersetzt wird.

Mauern teilen die Welt in Freund und Feind ein, und daraus ergibt sich automatisch, dass eine solche betonierte, mit Stacheldraht bewehrte, schwer bewachte und auch noch mit digitaler Kontrolltechnik ausgestattete Grenze die Menschen auf der anderen Seite (eben die „Feinde“) zur Projektionsfläche für die eigenen Ängste, also für alles Verhasste und Gefährliche macht – auch und vor allem für das Verdrängte in der eigenen Identität: Eben alles, was man in und vor sich selbst nicht wahrhaben will und wofür dann die „Feinde“ auf der anderen Seite der Mauer stehen. Wendy Brown, die sich hier auf psychoanalytische Erkenntnisse beruft, konstatiert den Bau von Mauern als eine realitätsferne Inszenierung, als Verdrängung der Wirklichkeit, die deshalb früh oder später böse enden muss. Mauern als Kompensation für das Erodieren der eigenen schwindenden Souveränität sollen also „das Fremde, Unverständliche, grauenhaft empfundene Andere und unheimlich Unverstandene“ fernhalten. Aber das kann nicht funktionieren, weil der Zukunftsentwurf auf einer idealisierten Vergangenheit beruht. Der polnische Soziologe Zygmunt Baumann spricht in diesem Zusammenhang von „Retropia“, also „Visionen, die sich anders als ihre Vorläufer nicht mehr aus einer noch ausstehenden Zukunft speisen, sondern aus der verlorenen/ geraubten/ verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit.“

Nicht nur die Politik bedient sich einer solchen Absage an politische und soziale Utopien, sondern auch die Unterhaltungsindustrie. Prototypisch ist hier die äußerst populäre Fernsehserie „Game of Throne“, in der sich ein „edles Volk“ (die Andalen) von wilden Barbaren bedroht fühlt und sich deshalb durch eine Mauer vor ihnen schützt. Die einen sind gut und deshalb menschlich, die anderen werden als entmenschliche Monster dargestellt. Der andalische Held der Serie verliebt sich in eine Barbarin von jenseits der Grenzmauer und muss begreifen, dass er selbst ein Mitglied einer enthumanisierten, rassistischen und xenophonen Gesellschaft ist. Sein plötzliches Verstehen für die andere, die barbarische Seite bringt ihn in einen schweren Konflikt und gefährdet so die ganze Stabilität der materiellen Mauer samt ihrer Rechtfertigungsideologie, weshalb der Held folgerichtig sterben muss.

In dieser Serie wird ein lupenreines manichäisches Weltbild vorgeführt: hier die Seite der Vertreter des Guten und Edlen, dort die barbarischen Finsterlinge, die Vertreter alles Hinterhältigen und Bösen. Und natürlich müssen die „Guten“ mit Gewalt die Reinheit und die Werte ihrer Ethnie schützen, wozu sie eine Ideologie entwickeln, die das rechtfertigt und legitimiert. Solche Vorgehensweisen gibt es nicht nur in Fernsehserien, die Politik war immer und ist auch heute noch voll von solchen Ideologien: Ohne die Kriminalisierung und Entindividualisierung ihrer „Feinde“ könnten die rechten Populisten Trump, Orban, Erdogan, Netanjahu und andere gar keine Politik machen.

Das herausragendste Beispiel einer solchen manichäischen Politik bietet Israel. Um die eigene ethnische Identiät zu wahren und seine Verbrechen an den Palästinensern zu verschleiern (Vertreibung, Landraub, Unterdrückung, Besatzung, Folter, völlige Abschottung hinter Mauern, Beschneidung der Bewegungsfreiheit und und…), muss es die Palästinenser entmenschlichen, zu „Terroristen“ und „Nazis“ erklären (oder sogar zu „Tieren auf zwei Beinen“, wie der frühere Ministerpräsident Menachem Begin sie diffamierte) und jeden, der ein solches inhumanes Vorgehen kritisiert, als „Antisemiten“ denunzieren. Wendy Brown fragt: „Wann werden die neuen Mauern so beengend wie die eines Gefängnisses, statt so behaglich wie die eines Wohnhauses sein? Ab wann wird die Festung zum Zuchthaus?“

Israel hat mit seinem Mauerbau diese Grenze längst überschritten. Niemand hat den von diesem Staat praktizierten Manichäismus besser beschrieben als die israelische Psychoanalytikerin Ruchama Marton, die die Organisation „Ärzte für Menschlichkeit gegründet hat“, die sich hinter der Mauer um die medizinische Versorgung von Palästinensern kümmert. Für dieses humane Engagement hat sie den alternativen Nobelpreis bekommen. Sie sieht in der Mauer, die die Israelis zur Abschottung gegen die Palästinenser gebaut haben, eine „metaphorische Blende“, deren Sinn und Funktion es ist, die „Existenz des palästinensischen Volkes insgesamt auszublenden“. Sie begründet das so: „Von einer psychologischen Warte aus ermöglicht diese Blende es den jüdischen Israelis, das Leid und die Menschlichkeit der Bewohner auf der anderen Seite zu vergessen. (...) Ein brauchbarer Ansatz, einige der psychologischen Mechanismen zu verstehen, die mit der Mauer zu tun haben, ist das Prinzip der Spaltung. Es lässt zwei Extreme zu, die Welt ist in ‚gut‘ und ‚böse‘ gespalten, ohne ein Mittleres. Spaltung ist der primitivste Abwehrmechanismus, auftretend bei übergroßer Verängstigung und einem Bedürfnis, unerträglich starke positive und negative Emotionen voneinander zu trennen. Ironischerweise fordert diese begriffliche Verarbeitung laufend psychologische Energie und ist als Langzeitlösung nicht sehr effektiv, denn die Ängste werden eher blockiert als erforscht, verarbeitet und schließlich abgebaut.“

Weiter schreibt Ruchama Marton: „Indem man sowohl die äußeren wie die inneren Aspekte des guten Selbst vom bösen Selbst abspaltet, ist es psychologisch möglich, die ungeliebten Teile des eigenen Selbst auf den ‚Anderen‘, d.h. die Palästinenser, zu übertragen. Dann kann man die projizierten Teile und Eigenschaften verachten, die ja nun dem ‚Anderen‘ angehören. Die Trennmauer wird so ausschließlich als Akt des Selbstschutzes wahrgenommen, als Schutz vor der wilden Aggression, die man mit den Palästinensern assoziiert. Die Mauer erlaubt dem zionistischen israelischen Kollektiv-Selbst, sich nicht als aggressiv, gewalttätig, grausam, Besitz ergreifend, als Verletzer von Menschenrechten zu sehen, indem alle diese Züge auf die Palästinenser jenseits der Mauer projiziert werden.“

 

Die Mauer ist also nicht nur eine physische Barriere, sie trennt auch – in den Augen der Israelis – das fortschrittliche, zivilisierte und demokratische Israel von den rückständigen, barbarischen und gewalttätigen Palästinensern. Die Mauer erlaubt es den Israelis, diese „Anderen“, die vor allem als „Terroristen“ und Selbstmordattentäter wahrgenommen werden, ohne Empathie und Miterleben des menschlichen Leids auszublenden. Ruchama Marton schreibt: „Sie [die Mauer] ist undurchsichtig, um den Blick auf das Elend und Leid auf der anderen Seite zu verhindern. Wäre sie durchsichtig, könnten wir tatsächlich das beunruhigende Leid der Menschen auf der anderen Seite sehen. Sie ist hässlich, denn sie soll die Illusion stützen, auf der anderen Seite lebe ein böses, ein hässliches Monster und keine normalen Menschen. Die palästinensische Existenz jenseits gilt als minderwertig, hässlich, schmutzig, gewalttätig und gefährlich.“ Durch diese Abschottung und die Verweigerung des Blicks auf die andere Seite stumpfen die Israelis aber auch selbst ab, denn sie spalten ja einen Teil ihrer eigenen Psyche ab, die sie nicht mehr wahrnehmen. Das Getto kommt so wieder und mauert auch die Israelis ein, soweit Ruchana Marton. Der israelische Historiker Benny Morris vertritt genau diese Auffassung einer Spaltung in „gut“ und „böse“. Er nennt die Palästinenser „Barbaren“, „Serienkiller“ und „wilde Tiere“. Man müsse sie einsperren, damit sie die Israelis nicht umbringen könnten. Man müsse eine Art Käfig für sie bauen, um sie darin wegzusperren.

 

Die Palästinenser werden also im Bewusstsein der meisten Israelis als „Monster“ – eine Projektion der eigenen Ängste und Aggressionen – gesehen. Und vor „Monstern“ muss man sich schützen. So gibt das offizielle Israel als Grund für den Bau seiner Mauer natürlich „Sicherheit“ an, vor allem vor dem palästinensischen „Terrorismus“. Aber dieses Argument überzeugt nicht. Denn erstens löst das Einsperren der Palästinenser durch Beton-Mauern in keiner Weise den politischen Konflikt mit diesem Volk; zweitens steht der sogenannte palästinensische „Terrorismus“ nicht am Anfang des Konflikts (wie die Israelis behaupten), sondern er ist eine Reaktion auf den Landraub und die Unterdrückung dieser Menschen durch die Zionisten (soweit nicht Zivilisten betroffen sind, ist er zudem legitimer völkerrechtlicher Widerstand gegen die illegitime Besatzung); drittens erfolgte dieser „Terrorismus“ (etwa die Selbstmordattentate) nicht einfach so ohne irgendeinen Anlass, sondern war die Folge furchtbarer israelischer Gewaltexzesse wie 2002 die brutale Niederschlagung der zweiten Intifada im Westjordanland durch Ariel Sharon. Wenn heute argumentiert wird, dass die Mauer für Israel mehr Sicherheit vor palästinensischem Terrorismus geschaffen habe, ist das nicht richtig, denn die Palästinenser haben schlicht und einfach ihre Strategie geändert. Sie setzen nicht mehr auf Anschläge, weil sie eingesehen haben, dass solche Attentate ihrer Sache nur großen Schaden zufügen.

 

Das Mauerdenken hat im Zionismus im Übrigen eine lange Tradition. Lange vor Gründung des Staates Israel hatte der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, gefordert, mit dem zu gründenden Judenstaat „einen Vorposten westlicher Kultur gegen die östliche Barbarei zu schaffen.“ Und der revisionistische Zionistenführer Vladimir Jabotinsky griff diese Idee wieder auf, indem er forderte, zwischen Juden und Arabern müsse eine „eiserne Mauer“ gebaut werden, an der der arabische Widerstand gegen den Zionismus abprallen sollte.

 

So beurteilen kritische Israelis denn auch den Mauerbau sehr viel differenzierter. Der israelische Wirtschaftswissenschaftler Shir Hever sieht die Gründe für die Errichtung der monströsen Anlage nicht im Sicherheitsargument, sondern in erster Linie in der Absicht der Zionisten, sich von den Palästinensern zu trennen. Ziel des Zionismus war immer die Schaffung eines homogenen jüdischen Staates ohne Araber, man will einfach nicht mit ihnen zusammenleben. (Dieser jüdische Isolationismus bzw. die Abschottung der eigenen Ethnie ist ein sehr altes jüdisches Anliegen. Schon im Alten Testament heißt es: Wir sind das Volk, das abseits der anderen Völker lebt.) Zweitens hebt Hever das Argument des Landraubs hervor. Durch den Mauerbau im Westjordanland und die dortige illegale Besiedlung hat Israel schon 60 Prozent dieser Region okkupiert und die Palästinenser in kleine Enklaven abgedrängt, die zum Teil auch ummauert sind, sodass die Palästinenser auch untereinander kaum noch Bewegungsfreiheit haben. Auf diese Weise kann Israel sie besser kontrolieren.

 

Hever merkt dazu an: „Im israelischen Diskurs wird die Mauer als ein Akt der Verschanzung dargestellt. Nach über 40 Jahren der Besatzung [heute sind es schon über 50 Jahre], werden die Palästinenser von vielen Israelis als wütend, hasserfüllt, rachsüchtig und gefährlich wahrgenommen. Die Mauer soll sie fernhalten. Obwohl der Diskurs der Verschanzung den Eindruck erzeugt, dass Israel sich selbst mit einer Mauer umgibt, sind es in Wirklichkeit die Palästinenser, die eingemauert werden, der richtige Begriff ist demnach nicht Verschanzung, sondern Einkerkerung, da die Mauer um palästinensische Gemeinden im Westjordanland gebaut wird.“

 

Der Begriff Einkerkerung trifft aber nicht nur auf das Westjordanland zu, sondern noch viel mehr auf den Gazastreifen, der durch eine Mauer, die sogar tief in die Erde reicht, um Tunnelbau zu verhindern, völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist. Diese Region, die völkerrechtlich immer noch israelisches Besatzungsgebiet ist und von Israel von Land, Luft und Wasser aus kontrolliert wird, erhält nur sehr begrenzt Versorgungsgüter und ist deshalb – verstärkt durch die Zerstörungen der gesamten Infrastruktur und zehntausender von Wohnhäusern durch die militärischen Übergriffe der Israelis – inzwischen zu einem Elendsdasein verurteilt. Der israelische General Benny Gantz, der bei den Parlamentswahlen im April als Kandidat einer von ihm neu gegründeten Partei antritt, rühmt sich in Wahlspots im Fernsehen, den Gazastreifen „zurück in die Steinzeit gebombt“ zu haben. Was er damit sagen will, ist klar: So habe ich für euch [die Israelis] Sicherheit geschaffen.

 

Noch deutlicher wird der israelische Soziologe und Historiker Moshe Zuckermann. Er sieht in Israels Sicherheitsargument für den Mauerbau eine Scheinbegründung, denn sie ermöglicht „die Aufrechterhaltung der Illusion, die Palästinenser losgeworden zu sein, ohne jedoch die Besetzung ihrer Gebiete aufgehoben zu haben. Hier vermengen sich Größenwahn und manifeste Entscheidungsunfähigkeit. Mögen Gesinnungen und Einstellungen gegenüber dem Bauwerk noch so variieren, sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allermeisten jüdischen Israelis die ‚Trennung‘ von den Palästinensern ‚real‘ herbeisehnen. Es handelt sich dabei freilich um eine infantil anmutende Wunschvorstellung, bei der die geforderte Verantwortung für die mögliche Lösung des blutigen, tragischen Konflikts, mithin die Schaffung von Strukturen künftiger Koexistenz an einem hoffnungsarmen Fatalismus (‚Die Welt ist gegen uns‘, ‚Man wird das Schwert in aller Ewigkeit tragen müssen‘) oder eben an die materielle Verdinglichung vermeintlicher Hoffnung in der Form einer Mauer delegiert wird.“

 

Zuckermann zufolge soll die Mauer in der Absicht der Zionisten eine doppelte Aufgabe erfüllen: einmal Gewalt [gegen jüdische Israelis] verhindern und gleichzeitig Eroberungsgewalt [Landraub] ermöglichen und abdecken. Die jüdischen Siedler sollen im Westjordanland durch die selbstauferlegte Einmauerung die territoriale Expansion betreiben. Dieses Paradox bilanziert Zuckermann so: „Man gibt noch immer die Unabdingbarkeit der Schutzvorrichtung [der Mauer] vor, deren Notwendigkeit sich aus selbsterzeugter Gefahr und Bedrohung speist. Eklatanter lässt sich die Ideologie des territorialen Anspruchs als bauwerkliche Manifestation nicht denken – die Mauer als physisch gewordenes falsche Bewusstsein.“

 

Wer Mauern baut, kerkert sich selbst ein und muss die wahren Gründe für seinen Mauerbau obendrein noch mit einer vertrackten Ideologie rechtfertigen bzw. verschleiern. Die Prognosen für Mauerbauer sind deshalb auch äußerst schlecht. Sie gaukeln den Menschen Lösungen vor, die keine sind. Oder anders gesagt: Staaten oder Gesellschaften, die sich abkapseln und einmauern, das ist eine Lehre der Geschichte, sind eine bedrohte menschliche Art, auch weil Mauern gegen den Frieden sind. Moshe Zuckermann sieht durch die israelische Politik der Selbst-Isolation (und Mauerbau ist nichts anderes) sogar die Existenz Israels bedroht. Er fragt: „Warum betreibt der Zionismus seinen eigenen Untergang? Warum unterwandert Israel systematisch den Frieden, indem seine jüdischen Bürger immer wieder Parteien wählen, aus denen Regierungen gebildet werden, die den Frieden als Realität, den Frieden als politische Verwirklichung nicht wollen?“