Rede zu Lage in Syrien auf dem Bremer Marktplatz am 13.03.2021 – eine Veranstaltung des Bremer Friedensforums und anderer Gruppen

Liebe Freunde und Freundinnen, sehr verehrte Damen und Herren,

wie bringt man das Kunststück fertig, im Namen der sogenannten westlichen Werte – also im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten – ein ganzes Volk (nämlich die Syrer) ins Elend und buchstäblich in den Hungertod zu stürzen? Dieses Kunststück bringt gerade die westliche Wertegemeinschaft fertig, die aus den USA, der EU und der NATO besteht – auch Deutschland agiert an vorderster Stelle mit in dieser Tragödie, indem es Syrien jede Hilfe verweigert und die Bundeswehr in dieses leidgeprüfte Land schickt. Was der Westen hier macht, kann man nur mit dem Vorhaben vergleichen, die Flammen von Menschenrechtsverletzungen mit Benzin zu löschen.

Gemeint sind die Sanktionen, die die USA und die EU seit Jahren gegen Syrien anwenden. Man muss aber ganz deutlich sagen: Sanktionen sind ein völkerrechtlich erlaubtes Mittel, aber nur dann, wenn die UNO sie verhängt, sie also ein UNO-Mandat haben. Darüber verfügen die vom Westen verhängten Sanktionen über Syrien aber nicht, das heißt: Sie sind illegal, haben keinerlei Rechtsgrundlage. Sie werden eigenmächtig erhoben und müssten eigentlich Zwangsmaßnahmen heißen. Auch die Anwesenheit westlicher Truppen vor allem die der Amerikaner im Nordosten des Landes, der Türkei im Nordwesten und die ständigen Luftangriffe der Israelis – verstoßen gegen das Völkerrecht, es gibt keinerlei rechtliche Grundlage für die Anwesenheit westlicher Truppen dort und die Luftangriffe Israels. Israel unterstützt zudem die Terrorgruppen, die in Syrien gegen das Assad-Regime operieren.

Was die Sanktionen (ich will sie weiter so nennen) in Syrien angerichtet haben, ist bekannt. Sie haben nach Einschätzung von Experten vor Ort die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit verursacht. Diese Sanktionen sind ein unvorstellbares Verbrechen am syrischen Volk!

Ich will ein paar Einzelheiten dieser Katastrophe nennen: Die Landwirtschaft kann, weil Syrien keine Produktionsmittel aus dem Ausland einführen kann, nicht mehr voll arbeiten, die Knappheit an Nahrungsmitteln hat Hungersnöte bei weiten Teilen der Bevölkerung zur Folge. Da keine Ersatzteile aus dem Ausland mehr geliefert werden dürfen, können die Industrie, die Energie- und Wasserversorgung nicht mehr richtig arbeiten. Ausfälle in diesen Bereichen sind an der Tagesordnung.

Katastrophal steht es auch um die medizinische Versorgung: Denn medizinische Güter sind kaum noch verfügbar, weil sich ausländische Produzenten aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen weigern, Medizinprodukte nach Syrien zu liefern. Was auch zum Zusammenbruch der pharmazeutischen Industrie des Landes geführt hat. Und das mitten in Corona-Zeiten! Die Lage wird auch dadurch verschlimmert, dass Syrien keinerlei Finanztransaktionen mit dem Ausland durchführen darf, was zum Kollaps des Bankensystems geführt hat.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Ergebnis: Die Sanktionen haben zu systematischen Zusammenbruch der Grundlagen von syrischer Wirtschaft, Infrastruktur und aller wichtigen Institutionen geführt. Die Folgen der Sanktionen ergeben sich automatisch: hohe Arbeitslosigkeit und ein Totalausfall des Bildungssystems. Die Sanktionen – so heißt es in der Studie weiter – hätten das Gegenteil von der verkündeten Absicht bewirkt: nämlich dem Regime zu schaden und der Bevölkerung zu helfen. Was Syrien aber unbedingt braucht, ist internationale Hilfe nach dem verheerenden Krieg. Das wäre ein Beitrag zum Frieden in der Region!

Mit am schlimmsten leiden die Kinder in Syrien. Unicef hat jetzt auf ihre schlimme Lage hingewiesen. 12 000 Kinder wurden seit Beginn des Krieges getötet und verletzt. Innerhalb des Landes sind sechs Millionen Kinder auf humanitäre Hilfe angewiesen. Eltern können ihre Kinder nicht mehr ernähren, hunderttausende von Kindern leiden an chronischer Unterernährung. Not und Entbehrungen seien für die meiste Kinder ein Dauerzustand geworden, sagt Unicef. 2,5 Millionen Kinder können in Syrien nicht zur Schule gehen.

Nach dem Grundgesetz Artikel 25 ist jede deutsche Regierung verpflichtet, sich an das Völkerrecht, das heißt vor allem an die UNO-Charta zu halten. Danach sind Angriffskriege verboten. Sanktionen bedeuten aber auch Krieg, sie sind nur ein anderes Mittel der Kriegführung. Wir müssen die Bundesregierung hier und heute zur Rede stellen: Warum nimmt sie diesen Auftrag des Grundgesetzes nicht wahr? Hier wird nicht nur das Grundgesetz in eklatanter Weise verletzt, hier wird ein Angriffskrieg gegen ein ganzes Volk geführt. Und damit werden die Menschenrechte der Syrer – vor allem ihr Recht auf Leben und menschliche Würde – in brutaler Weise mit Füßen getreten. Das muss ein Ende haben!

Der Westen gibt als Ziel dieser barbarischen Politik an, (ich sagte es schon) die westlichen Werte – Freiheit, Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen. Man muss krass und ganz deutlich dazu sagen: Das ist pure Heuchelei. Es geht in Syrien nicht um Menschenrechte und Demokratie, sondern um reine Machtpolitik und nichts anderes! Man tut so, als sei der Machtanspruch des Westens völlig legitim und die Gegenseite des Teufels! Mit anderen Worten: Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen – also Syrien, der Irak, der Iran sowie Russland und China.

Aber es geht in diesem Konflikt nicht um gut und böse. Der Krieg, der in und um Syrien geführt wird, hat vor allem das geostrategische Ziel, die westliche Vorherrschaft über den Nahen und Mittleren Osten – vor allem der USA und Israels – abzusichern. Und deswegen muss vor allem der Iran ausgeschaltet werden. Israels Regierung hat gerade wieder erklärt, dass sie jederzeit bereit ist, den Iran anzugreifen. Hier brennt eine Lunte, deren Abbrennen jederzeit zu einem Konflikt der Großmächte und damit zum Dritten Weltkrieg führen kann.

Syrien ist der Schauplatz, auf dem der Westen in zynischer Weise sein gefährliches Macht- und Kriegsspiel treibt. Sein politisches System soll destabilisiert werden, um einen Regimewechsel herbeizuführen. Es soll dann eine sunnitische Regierung eingesetzt werden, die nach der Pfeife der USA tanzt. Für diese Politik des „Assad weg!“ muss das syrische Volk unendlich leiden. Wir müssen an dieser Stelle aber klar und deutlich sagen: Über die Zukunft Syriens muss das syrische Volk entscheiden und nicht die Herren und Damen in Washington, Paris, Brüssel oder Berlin!

Man mag zu Assad stehen, wie man will. Aber ihn allein für das Unglück dieses Landes verantwortlich zu machen, ist eben pure Heuchelei. Der Westen – besonders die USA – haben nie Skrupel gehabt, Diktatoren zu unterstützen, wenn sie den eigenen Interessen dienten. Was ist mit den Menschenrechten in Saudi-Arabien und Ägypten? Und was ist mit den Menschenrechten in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten? Assad ist ein Verbündeter des Iran und Russlands und deshalb gehört er nach westlicher Auffassung zu den Bösen und muss beseitigt werden. Die Guten meinen immer, das Völkerrecht habe nur dann eine Bedeutung, wenn die Bösen es missachten. Über die eigenen Brüche des Völkerrechts sieht man aber arrogant hinweg.

Unter dem Vorwand, für das Gute zu kämpfen, führt der Westen völkerrechtswidrig Krieg in Syrien – ob mit Waffen, Sanktionen oder dem Raub von Ressourcen im Nordosten des Landes. Ich denke dabei an die Ölförderung, die die Amerikaner dort betreiben. Hier wird den Syrern auch noch der Reichtum ihres Landes gestohlen. Die Menschen in Syrien müssen die Rechnung für diese wahnsinnige Politik des Westens mit ihren Leiden bezahlen.

Der Fall Syrien erinnert sehr an das Vorgehen der Amerikaner im Irak, den sie vollständig zerstört haben. Das heutige Chaos in der Region ist vor allem eine Folge des US-Krieges im Jahr 2003. Damals hat man vor dem Krieg auch versucht, den Irak mit Sanktionen in die Knie zu zwingen. Ich möchte deshalb zum Schluss an die berühmte Äußerung der früheren amerikanischen Außenministerin Albright erinnern. Auf die Frage, ob die Sanktionen gegen den Irak es wert gewesen seien, dass im Irak eine halbe Millionen Kinder durch ausbleibende Hilfsmittel von außen, den Tod gefunden hätten, hat sie geantwortet: „Ja, die Sanktionen sind das wert gewesen!“ Das ist der Gipfel an Zynismus und Menschenverachtung! Werden unsere Politiker in einigen Jahren dasselbe über die Sanktionen über Syrien sagen?

Wir müssen hier uns heute an die Bundesregierung und ihre westlichen Verbündeten appellieren: Beenden Sie diesen Wahnsinn. Für eine solche Politik haben Sie von uns Bürgern kein Mandat bekommen!

Ich danke Ihnen!